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Garry Poppers – Kapitel 32

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Und wieder hat es länger gedauert als beabsichtigt. Aber noch immer erreichen mich viele mails mit anfragen, wann es denn weitergeht oder OB es denn noch weitergeht. Dies möchte ich mit einem deutlichen JA beantworten. Auch wenn leider viel Zeit zwischen den letzten Kapiteln lag und ich mir immer vornehme, etwas zügiger zu schreiben, die Story wird auf jeden Fall beendet werden. Also keine Angst :)

Für alle jene die zwischendrin mal wieder eine kleine Gedächnisstütze brauchen, was zuletzt alles so im Internat St Constantine passiert ist,  verweise ich nochmal auf die (aktualisierte) Fassung von Garry Poppers – The story so far .

Auf jeden Fall wünsche ich den treuen und den neuen Lesern wieder viel Spaß beim neusten Kapitel aus der Welt von Garry Poppers.

Oliver

+++

Versteckspiele

Garry warf im Reflex seinen Kopf nach hinten und spürte wie sein Schädel mit der Nase des Angreifers kollidierte. Ein häßlich knirschendes Geräusch gefolgt von einem gedämpften Schrei. Der Junge nutzte  die Chance  und riß  den Ellbogen hart zurück, er erwischte den Kehlkopf des Unbekannten der den in Ether getränkten Lappen fallenließ und zurücktaumelte.
Ohne sich nochmal umzusehen stieß sich Garry vom Sitz ab und rannte den Mittelgang hinauf aus dem Kinosaal.

Im Voyer stolperte er über den Kartenverkäufer der grade einen Pappaufsteller zusammensteckte.
»Sachte Kleiner. Pass auf wo du-«
»Der Mann.. der Mann da drin«, Garrys Hirn pulsierte hinter der Schläfe. Ihm war schwindelig.
»Was denn los, Kleiner?« Der Kartenverkäufer sah an ihm vorbei den Gang runter. »Hat dich wer angefasst? Alles okay?«
Die Worte waberten wie Seifenblasen um ihn herum. Es brauchte all seine Konzentration um überhaupt einen Satz rauszubringen.
»Ist hier… vorhin ein blonder Junge reingekommen? Kurz vor mir?«
»Ich hab nur 5 Karten verkauft heute. Für dein Kino warst du der Einzige…« Der junge Mann legte den kopf schief wie ein papagei wenn er nachdenkt. »Da war son blondes Kerlchen ja. Aber der kam ne ganze Weile vor dir. Hat aber Karten für Kino 1 gekauft… ich dachte er wäre schon wieder raus. Is alles okay bei dir? Du sieht ja aus wie frisch gekälkt.«
»Ich… bin okay.« log Garry. Er spürte Übelkeit aufsteigen. »Der Mann da drin… er hat mich angegriffen.«
»Verdammte Perverse.« Der Kartenverkäufer schnappte sich einen der eisernen Samtschnur-Ständerm die links und rechts des Einlaß standen. »Warte hier… ich schau mir den Kerl mal an.«
Ehe Garry etwas erwidern konnte, war er schon im Kinosaal verschwunden.
Als er einige Minuten später, nach erfolgloser Suche zurück kam, war das Foyer verlassen.

***

Garry spuckte keuchend aus. Er trat neben dem Weihnachtsbaum hervor, hinter dem er seinen Mageninhalt deponiert hatte. Der Speichel auf seinen Lippen und Wangen bildete bereits kleine Eisflächen. Sein Atem trieb in Imitation des kleines tapferen Zuges, der es geschafft hat, aus Mund und Nase.
Die eisige Luft und das Kotzen hatten seinen Kopf etwas aufklaren lassen. Es waren wenig Menschen unterwegs. Nieseliger Schnee verkletschte alles zu grauem Dreck. Es war dunkel und die gelblichen Straßenlaternen wirkten wie von eisigen Mücken umschwärmt.
Es war noch ein gutes Stück bis zur Bushaltestelle, doch Garry scheute den Weg. Was wenn sein Verfolger wußte wo er hinwollte? Was wenn er ihm auf dem Heimweg auflauerte? Stolpernd schlidderte der Junge den Bordstein entlang, Richtung Haupteinkaufsstraße. Zu seiner Rechten der Minisupermarkt, in dem er damals das Geschenk für Tom gekauft hatte. Vor ihm lagen die Cafes, Buchläden, Drogerien und der Stadtpark der seitlich des Rathauses abging.

Langsam bekam er sich wieder in den Griff. Er überlegte, versuchte rational zu denken. Eine Weile hielt er sein Handy umfasst, unschlüssig Hermoaning oder Fagrid anzurufen, doch er konnte jetzt keine Vorwürfe gebrauchen und er wollte nicht, daß sie sich wieder um ihn sorgten. Eine Weile überlegt er Zlatko anzurufen, bis er sich erinnerte, daß dessen Handy wahrscheinlich irgendwo in McDoneitalls Büro lag.

Ohne  sich dessen gewahr zu sein, hatte er den Weg zur Stadtmitte eingeschlagen, zur Haltestelle des Bus’ der ihn zurück zum Internat bringen würde.
»Pass auf Junge!«
Er fuhr herum und sah einen Kastenwagen auf sich zukommen. Der Wagen raste über den Bürgersteig. Für einen Moment fühlte er sich gefangen. Erinnerungsfetzen vom Tag als ihn Zlatko vor dem Wagen weggestoßen hatte, überlagerten die Realiät. Derselbe Wagen. 
Garry taumelte rückwärts und sprang in eine Hecke die den Stadtpark begrenzte. Metal kreischend scharrte der Wagen am gemauerten Rand der Parkumfassung entlang. Er touchierte einen Mülleimer der in Rotzfahnen und Pappbecher explodierte und an seiner Verankerung hängen blieb. Der Wagen bremste, setzte zurück
»Bist du verletzt? Junge alles okay?«
Ein Mann kam angelaufen.  Er hatte seine Einkaufstüten auf der anderen Straßenseite fallen lassen und schob mit einer Hand die Hecke auseinander.
»Bist du-«
Ein Kreischen schnitt ihm das Wort ab. Röhrend kam der Kastenwagen erneut um die Ecke. Garry rappelte sich hektisch auf. Der Wagen hielt auf den Südeingang des Parks zu, der nur für Personen gedacht war.
Ohne weiter nachzudenken, begann Garry zu rennen. Die kalte Luft brannte wund in der Lunge und schon bald stachen ihm eisige Nadeln in die Seiten. Er rannte. Das Brechen von Ästen, das Kreischen von Bremsen, verschmolz  zu einem einzigen Geräusch in seinem Kopf. Zweimal bog er ab, überquerte die hölzerne Brücke die den Severin-Teich in der Mitte des Parkes mit einer kleinen Halbinsel verband. Bremsen. Der Wagen wurde hinter ihm gewendet und der Fahrer vollführte eine scharfe Kurve. Er würde ihn auf der anderen Seite erwarten.
Ausruhen. Nur ein paar Sekunden. Garry stützte die Hände auf den Knien ab und spuckte neuerlich gelben Schleim aus. Er fühlte sich fiebrig und konnte kaum klar denken. Die Halbinsel war mit einem kleinen Wald bedeckt, kaum ein Fußballfeld groß, aber genug um einen Wagen abzuhalten.
Garry stolperte weiter, einen halbvereisten Weg entlang, durch unberührten Schnee. Er horchte.
Das Grollen des Motors war verstummt. Vorsichtig ging der Sechzehnjährige weiter. Links und rechts Nadelbäume und Gehölz, das bei wärmeren Temperaturen gern von Männern für ein Stelldichein genutzt wurde. Doch jetzt war es dunkel, kalt und verlassen.
Es waren noch rund 50 Meter bis zum Rand des kleinen Waldes, er konnte schon die Nordseite des Sees erkennen, der zugefroren wie eine Senke im Park lag. Dahinter glommen die Lichter der Innenstadt. So nah.
Vor ihm lag nur Schnee. Nur 50 Meter.
Er blickte hinunter und sah Fußspuren die in seine Richtung führten. An ihm vorbei. Fußspuren und kleine rote Tropfen im Schnee.

Garry rannte noch ehe er das Geräusch hinter sich hörte. Jemand fasste nach seiner Jacke, aber Garry riß sich los. Nur sein Schal blieb in den Händen des Fremden zurück. Garry rannte.
Vorbei an den letzten Bäumen, vorbei am Kastenwagen, der versteckt neben dem Eingang des Wäldchens geparkt stand.
Er rannte blickte nicht zurück, nicht als ihm Schritte verfolgten, nicht als Scheinwerfer aufflammten und der Motor des Wagen wieder aufheulte.
Er rannte auf den zugefrorenen See, hinüber zu den Lichtern. Dort wo Menschen sein mußten.
Erst zu spät merkte er, daß die Eisdecke am anderen Ufer viel zu dünn war.

***

Schmerz und Kälte.
Er wußte das es keinen Sinn mehr hatte. Er konnte sich nicht bewegen, wollte sich nicht mehr bewegen. Eiswasser war überall in seinem Mund, der Lunge, den Ohren. Das er auf dem Grund des Sees aufschlug, merkte er nur weil seine Beine abknickten.
Warum sich nicht einfach fallen lassen.
Alles war so einfach. Klar und kalt. Die einzigen Geräusche waren das knarren der Eisschicht über ihm.
Einfach fallen lassen.
Klar und kalt.
Klar und friedlich…

***

NEIN!
NEIN VERDAMMT!
Er würde nicht in einem verdammten Ententeich ersaufen. Garry stieß sich mit dem Beinen vom Grund ab. Sein Kopf prallte gegen die dünne Eisdecke und durchbrach sie, japsend sog er eisige Luft ein und tastetet verzweifelt nach Halt. Der See war nicht tief. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er stehen. Er mußte nur irgendwo halt finden um sich-
Eine Hand umfasst seinen Unterarm.
»Hab dich, Garry.«
Ehe er das Bewußtsein verlor erkannte er das Gesicht von Paul Harber.

***

»Komm schon wach auf.« Etwas drückte sich gegen seine Unterlippe.
Es dauerte bis Garry verstand wo er war.
»Seine Brille, gib sie ihm.«
Der Druck gegen seine Unterlippe verschwand, kurz darauf schob ihm jemand ungeschickt die Brille auf die Nase. Hermoaning. Sie lächelte etwas zu fröhlich. Hinter ihr stand Dani.
»Hier trink das.« Sie schob ihm erneut eine Tasse mit heißer Hühnerbrühe an den Mund. »Nimm schon..«
Garry schob sich die Brille zurecht und umfasste die Tasse. Hinter Hermoaning hing ein bekannter Vorhang. Auch der Geruch war mehr als vertraut. Die Krankenstation. Garry blinzelte. Er konnte noch immer nicht richtig sehen.
»Eine deiner Kontaktlinsen… sie ist unters Auge gerutscht. Ich konnte sie nicht rausfischen, solange du weggetreten warst.« Die Stimme gehörte zum unscharfen Umriß, den Garry nur als Krankenschwester Bernd erkennen konnte, wenn er ein Auge zukniff.
»Die andere ist wohl weg, als du in den See gefallen bist.«
Garry stellte die Tasse auf dem Tischchen neben sich ab. Zehn Sekunden später wischte er eine gefaltete und halb-blinde Kontaktlinse an der Bettdecke ab. Hermoaning verzog ihr Gesicht.
»Yuk. Wie kannst du dir da nur so reingreifen.« Sie gab ihm einen Kuss. »Verdammt was hast du dir nur gedacht? Wenn Paul nicht Fagrid bescheid gesagt hätte… «
Bernd zog das Mädchen an der Schulter zurück. Er betastete Garrys Stirn, dann seinen Hals. »Laß gut sein, für heute. Er hat hohes Fieber und ist erstmal genug gestraft. Ich werd ihm noch eine Spritze geben, damit er schlafen kann. Morgen ist auch noch Zeit für die Predigt. «
Garry zuckte zusammen, als Bernd ihm eine massive Injektion in den Oberarm verpasste. Er wollte so viele Fragen stellen, doch er brachte kein Wort heraus. Jede Bewegung schmerzte und sein Gehirn klatschte bei jeder Bewegung an die Innenseite des Schädels.  Ein fiepsiges "Danke" war alles was er hervorbrachte, ehe er wieder wegsackte.

***

Als er erwachte war es früher morgen. Irgendwo machte eine Krähe dramatische Geräusche die perfekt zum trübgrauen Himmel passten, der von Garrys Bett aus alles war was durch die Fenster zu sehen war.  Das Leben, wenn man die autistischen Aktivitäten die noch mechanisch abliefen so nennen wollte, begann grade erst. Aus Richtung des Frühstücksaals war gedämpftes Klappern zu hören.
Eine Spannung im unteren Lendenbereich erinnerte Garry an bizarre Träume von denen nur noch Fragmente hinter seinen Lidern kreisten und daran, daß er dringend auf die Toilette musste. Benommen wälzte er sich aus dem Bett und tappste in die kleine Klokabine der Krankenstation. Der Versuch den gestrigen Tag einzuordnen, erwies sich als mühevolle Puzzlearbeit. Zlatko hatte ihn versetzt. Schlimmer noch, die Befürchtungen Fumblemores waren wahr. Er stand tatsächlich auf Goldenrohrs Seite und hatte ihm eine Falle gestellt. Dieselben Leute, die ihn damals fast vor der Schule überfahren hatten, hatten nun versucht ihn zu entführen.
Wieso hatte Zlatko ihn überhaubt erst gerettet, wenn er ihn jetzt ans Messer lieferte? Garry stand schwankend vor dem Pinkelbecken und versuchte nachzudenken. Die Kälte der Fliesen kroch unangenehm seine nackten Füße hinauf.
Vielleicht wollte Mort ihn lebend. Deswegen hatte Malejoy ihn gerettet. Wahrscheinlich war er es auch, der Tom beobachtete und ihm Morts Briefe weitergeleitet hatte.  Nein das machte keinen Sinn. Die Briefe waren mit der Hauspost gekommen.
Dafür daß Fumblemore St. Constantines als sicheren Hafen für seien Schüler wähnte, wimmelte es ja augenscheinlich nur so von Leuten die Verbindung zu Goldenrohr hatten. Rape, Zlatko.. selbst Tom. 
Irgendetwas stimmte nicht, irgendwas war falsch, aber Garry konnte den Gedanken der wie ein Schmetterling um ihn herumsauste partout nicht einfangen. Immer wieder blieb er just ausser Reichweite.
Er zog die Pyjamahose hoch und wankte ans Waschbecken, das lediglich einen dünnen, kalten Wasserstrahl aus dem altmodischen Kupferhahn pieseln ließ. Der Junge wusch sich das Gesicht und Hände ind er Hoffnung, daß die Kälte ihn etwas aufklaren ließe. Er spülte sich den Mund, hoffen, daß er den Geschmack nach totem Pandabären aus dem Mund bekäme.
Als er die Tür öffnete ließen ihn Stimmen inne halten. Er blieb stehen, blinzelte durch den Türspalt und horchte. Paul stand neben am Eingang der Krankenstation und redete mit jemand, den Garry nicht erkennen konnte, weil er halb von der Eingangstür, halb von Paul selbst verdeckt wurde.
»Was willst du hier?«
»Er ist mein Freund. Geht dich ja wohl nichts an.«
»Ach ja« Der andere Junge flüsterte, so daß Garry die Stimme nicht erkennen konnte. »Bisher hat dich das doch auch nicht groß gekümmert.«
»Halts Maul verdammt. Ihr laßt ihn in Ruhe. Habt ihr gehört! Ich will dich nicht mehr sehen hier.«
»Ganz große Töne. Seit wann bist du denn so mutig. Wenn er rausbekommt was du gemacht hast, bist du sowieso erledigt.«
»Das war ein Versehen. Ich wollte nie, daß-«
»So’n Versehen wie deine Aktion gestern? Mein Vater-«
»Sag deinem Vater das es aus ist. Ich will damit nichts mehr zu tun haben.«
Ein schnaubendes Lachen war zu hören.
»Spiel dich nicht auf, Paulchen. Du weißt daß es kein zurück gibt.  Du willst doch nicht, daß Francis dasselbe passiert wie seinem Bruder?«
»Du lässt ihn in Ruhe! Beide!« Paul baute sich drohend vor dem anderen Jungen auf, von dem Garry nur eine Schulter sehen konnte.
»Oder was? Willst du dich mit meinem Vater anlegen? Pass bloß auf Harber.«
Es klatschte. Die Ohrfeige war so schnell gekommen, das Garry sie gar nicht sah. Der andere Junge taumelte zurück, verschwand ganz aus dem Blickfeld.
»Hau ab und laß sie in Ruhe! Ich geh zu FUmblemore und sag ihm alles!«
Schritte waren zu hören. Jemand lief eilig den Flur hinab. Paul blieb eine Weile wie erstarrt stehen.
Als er sich umdrehte und in Richtung der Stationsbetten kam, zog Garry eilig die Tür zu und hielt den Atem an.

***

Nachdem er zehn Minuten gewartet hatte, sich Geräuschvoll duschte und die Klospülung betätigte, versuchte er überrascht dreinzuschauen, als er Paul an Francis Bett sitzen sah. Die beiden unterbrachen ihre Unterhaltung als sie ihn sahen.
»Morgen Poppers«, Francis nickte ihm zu. Irgendwie schien die gemeinsame Unterbringung inder Krankenstation sie noch mehr zu einen, in Francis Augen. »Paul hat eben erzählt wie er dich aus dem Teich gefischt hat. Du machst aber auchn Scheiß. Kannst froh sein, daß er zufällig da war.«
Garry fiel wieder der Brief von Zlatko ein, den Paul ihm gestern überreicht hatte. Er wischte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht, imitierte ein Lächeln.
»Ja Zufälle gibts. Ist schon komisch.« Er sah Paul an, der ihm auswich.
»Ich muß los«, der Achtzehnjährige sah vom Boden nochmal zu Francis auf, umfasste dessen Hand und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Sobald du wieder auf dem Damm bist, hol ich dich wieder in die Mannschaft, Alter. Versprochen.«
»Ist okay. Nachdem Poppers jetzt auch erstmal ausfällt, mußte zusehen wen du kriegst. Ich komm heut nachmittag wieder auf mein Zimmer. Ich wollt… ich wollt Saschas Sachen zusammenpacken und könnt bißchen Hilfe gebrauchen.«
Paul sah noch unglücklicher drein als zuvor.
»Ich weiß nicht… ich… hab noch viel zu tun. Ich…«
»Bitte« Francis sah seinen Freund fest an.
»Okay. Ich komm nach der Auswahl hoch. Kriegen wir schon hin.« Er stand vom Bett auf und wollte sich an Garry vorbeischieben, der ihn am Arm zurück hielt.
»Hast du nachher mal kurz Zeit« Garry spürte wie sich die Muskeln in Pauls Arm neuerlich verkrampften, der Junge zitterte unmerklich.
»Klar. Ich muß nur das Training und die Auswahl rumkriegen, danach können wir quatschen. Scheint ja als wenn Schwester Bernd dich wieder aufgemöbelt hat. Du sahst gestern wirklich aus wie…«
»Tot?« bot Garry an.
»Ich muß los. Pass auf dich auf, wir sehen uns nachher. « Paul streifte Garrys Hand ab und streichelte ihn kurz am Arm. Im nächsten Moment war er auch schon verschwunden.
Francis schob sich ächzend aus dem Bett. Er klaubte sein Waschzeug zusammen.
»Ihr habt euch ausgesprochen?« Garry stand unschlüssig nebem dem Jungen.
»Ist okay. Er hats mir erklärt. McDoneitall hat ihn beiseite genommen und gebeten, daß er das mit dem Spiel durchzieht. Die Schule braucht etwas Ablenkung, etwas worauf sie sich konzentrieren können. Seit diesem Scheißsilvester ist hier doch alles aus den Fugen, seit..« Francis brach ab. Garry betete, daß der Junge jetzt nicht anfing zu heulen. Zu seinem Glück fing sich der Ältere wieder. »Ich hoffe sie kriegen eine gute Mannschaft hin. Bißchen Aufmunterung können wir alle gut brauchen.«
Garry nickte und trat beiseite um Francis ins Bad gehen zu lassen.

Kurz darauf war Bernd mit dem Frühstück für beide gekommen. Nach einem letzten Check und einem leichten stimmungsaufhellenden Medikament, durfte Francis dann wieder in sein Haus zurückkehren. Garry sollte noch bis zum Abend dableiben, Bern dwollte sichergehen, daß der Junge sich keine Lungenentzündung eingefangen hatte. Das Fieber jedoch war bereits im Abklingen begriffen. Die Antibiotika und die Schwitzkur der Nacht zeigten bereits Wirkung. Dennoch sollte er noch im Bett bleiben, seine Bitte bei der Vorauswahl zumindest zusehen zu dürfen wurde genauso abgelehnt, wie ein Besuch bei Fagrid. Dieser war so erzählte es zumindest Hermoaning, die in der Mittagspause zu einer kurzen Visite kam, heute Unterwegs um sich mit Freunden zu treffen, die ihm halfen Tom zu finden. Im Nachrichtensegment, wurde ein kurzer Interviewausschnitt mit Fumblemore gezeigt, der auf die Anschuldigungen sehr sachlich und bedacht antwortete. Zwar wurde immer noch von der "Skandal-Schule" geredet, aber erstmals schienen die Berichterstatter die Berichte einiger anonymer AUgenzeugen in Zweifel zu ziehen. Laut Fumblemore war einer der Beschuldiger seit über einem Jahr nicht mehr  auf der Schule, seit ihn seine Eltern abgeholt hatten.
Irgendwann nach den Nachrichten musste Garry wieder eingedöst sein.

***

Geweckt wurde er von Lärm und Tumult. Ein Trupp Helfer umstand Bernd, der  einen Körper in das Bett nahe des Eingangsbereichs wuchtete. Garry erkannte nichts. Ein älterer Schüler zog den Vorhang zwischen ihm und dem anderen Bett zu.
»Verdammt wo bleibt der Notarzt!« Bernds Stimme überschlug sich.  Im Eingang drängten sich andere Schüler, den meisten Stand Schock und Unverstehen ins Gesicht geschrieben. Garry erkannte Francis und Hermoaning. Er rappelte sich auf und ging zu ihnen. Vom Gang war die Stimme Fumblemores zu hören, der sich den Weg zum Ort des Geschehens bahnte.
Francis war kreidebleich, Garry sah das sich der Junge an Hermoaning festhielt.
Abgeschottet hinter dem Vorhang rief Bernd einer Fixierschiene. Ein Sanitätsassistent, ein ungelenker 19jr namens Lukas, stolperte hinter dem Vorhang heraus und begann fahrig in einem Schrank zu suchen.
»Was..?« Garry kapierte gar nichts. FUmblemore schob ihn zur Seite und verschwand ebenfalls in der abgeschirmten Krankenecke.
»Paul.« sagte Moany schließlich. Mehr brachte sie nicht hervor. Neben ihr begann Francis zu weinen.


Garry Poppers – Kapitel 33 und 34

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Nach vielen Anfragen und positivem Zuspruch, hier endlich das neue Kapitel von Garry Poppers. Lange versprochen, dafür aber auch gleich im Doppelpack mit Kapitel 33 und 34.

Wie immer mit Dank an die treuen Leser, die mich wissen lassen, das sie immer noch neugierig sind, wie es weiter geht und einer Entschuldigung, daß es immer seine Zeit braucht, bis ein neues Kapitel fertig ist.

Die aktualisierte Version der Zusammenfassung “Garry Poppers, the story so far”, die noch ein mal in Erinnerung ruft was zuletzt passiert ist, kann wie immer hier nachgelesen werden.

 

Kapitel 33 – Der gut sichtbare Dritte

Wenn es im Moment an der ganzen Situation etwas positives gab, dann das alle zu beschäftigt waren um Garry wegen seines gestrigen Ausflugs eine Standpauke zu halten, ihm Vorwürfe zu machen. Ein kümmerlicher Trost.

Es hatte bis zum Abend gebraucht, ehe Garry sich wirklich ein Bild machen konnte was passiert war. Die öffentliche Spielerauswahl wurde rituell von einem Völkerballtestspiel gefolgt. Vorstellung der neuen Spieler. Normalerweise eher Routineveranstaltung, hatte sich diesmal fast die ganze Schule eingefunden. Diee Zuschauertribühnen waren voll besetzt. Jeder wollte sich ablenken, niemand alleine sein. Fumblemore hatte recht, die Schule konnte ein wenig Gemeinsamkeit gebrauchen. Ein wenig Normalität. Auch wenn die Mannschaften von Vaseline und Spiffydorm eher in Notbesetzung antraten, beider König war ausgefallen. Garry lag in der Krankenstation und Zlatko hatte niemand mehr gesehen, seit dem Vortag. Irgendwie schien es jedoch auch nicht wichtig zu sein, wer gewann. Das Spiel war ein Beweis, das St. Constantines sich nicht kleinkriegen ließ. Die Schüler feuerten beide Mannschaften nach Kräften an.

In der Pause herrschte fast eine ausgelassene Stimmung. Die permamente Anspannung der letzten Wochen entlud sich in übermütigen Albernheiten. Es gab Rangeleien, harmlose Plänkeleien. Der Schulchor sang eine A-capella-Fassung von “Go West” und selbst Professor McDoneitall schien sich für den Moment etwas zu entspannen, zu vergessen das die Spiffydorm-Mannschaft zwei Punkte zurücklag.

Zunächst hatte sich niemand gewundert, daß Paul nicht wieder kam. Keiner hatte es eilig, die Veranstaltung zu beenden. Die Stimmung war einfach zu angenehm. Man frotzelte sich an. Jens Diva versuchte die hinteren Ränge zum mitsingen der Schulhymne zu bringen, was diese jedoch eher belustigt kommentierten. Harmlose Albereien flogen umher, zusammen mit Pappbechern und T-Shirts.

Dann hatten Sie Paul in der Toilette der Umkleide gefunden. Bewusstlos. Der Arm dessen Schlagader längs geöffnet klaffte, hing über der Kloschüssel.

***

Die Evakuierung der Schule begann zwei Stunden später. Selbst Fumblemores Verbindungen konnten nach diesem Vorfall die vorläufige Schließung St.Constantines nicht mehr abwenden.

Diejenigen die Familie hatten wurden sofort in den Zug gesetzt. Einige wurden von Freunden abgeholt. Viele, die niemanden hatten, irrten mit leeren Gesichtern durch die Gänge des Internats, die Sachen gepackt. Abwartend, wie die Krisenkonferenz über ihren Verbleib entscheiden würde.  Am frühen Abend waren Reisebusse vorgefahren, begleitet von Polizeiwagen. Sie brachten die verbleibenden Schüler in Jugendherbergen in Nachbarorten.

Aktionismus. Irgendetwas musste getan werden, forderten die zuständigen Stellen.

Irgendetwas war getan worden. Ob es besser war die Schüler auseinanderzupflücken, sie aus dem Umfeld zu reißen, als sie im Internat zu behalten zählte nicht.

Das Lokalfernsehen berichtete ausführlich.

***

Es roch aseptisch. Nach grünen Fliesen und Einwegspritzen. Die Luft schmeckte metallisch. An den Wänden hingen Kinderzeichnungen. Wachsgemalte Strichmännchen unter gelb-orangen Sonnen. Alles lachte im Kontrast zu den Besuchern.

Gary hockte an die Wand gelehnt im Wartezimmer des Krankenhauses. Francis saß immer noch kreidebleich am Ende der Bank. Hermoaning war bereits auf dem Weg zurück nach Cockwarts, sie wollte Dani nicht zu lange alleine lassen. Sie hockten seit Stunden hier. Fumblemore und McDoneitall waren vor einigen Minuten von einem Arzt zum Gespräch gebeten worden.
Schließlich war es Francis, der das Wort ergriff.
»Die Kabine war abgeschlossen hat Moany gesagt.«
»Was?«
»Es macht keinen Sinn.« Francis sah auf und seine Stimme klang zum ersten Mal gefasster. Er schüttelte den Kopf. »Paul haut nicht auf sone feige Art ab. Egal was er gemacht hat.«
»Wovon redest du?«
»Ich dachte du weißt es.« Francis sah sich um, ob sie jemand belauschte. Er rückte näher an Garry heran. »Du hast ihn doch auch gehört. Heute morgen? Ich hab dich ins Bad gehen sehen.«
»Ich dachte du pennst noch…«
»Mit wem hat Paul geredet? Du hast sie doch auch gehört oder? Da war noch jemand… sie haben gestritten. Ehe er zu mir kam? Wer war der andere Junge?«
»Keine Ahnung.« Garry versuchte sich zu erinnern. »Paul stand direkt vor ihm. Ich hab ihn nicht sehen können.«
Francis schaute ihn prüfend an, entschied dann offenbar, das Garry die Wahrheit sagte.
»Ich wette es war Malejoy. Paul hat ihm eine gehauen, ja? Er wollte Paul mit irgendwas erpressen. Ich hab kaum etwas verstanden…«
»Paul hatte irgendwie Angst das du etwas erfährst, was er gemacht hat. Der andere hat versucht ihm zu drohen…«
»Und drei Stunden später versucht Paul sich umzubringen?« Francis schüttelte den Kopf. Blinzelte. »Das macht er nicht. Egal was er gemacht hat, er war mein bester- IST mein bester Freund. Paul war immer für mich da. Er hat mich wieder aufgebaut, als ich so durchhing nachdem Tom mich abblitzen ließ.« Der Junge bemerkte zu spät die Wirkung seiner Worte, als Garry aufstand und ein paar Schritte wegging.
»Sorry. Ich hab für den Moment vergessen, das du und Tom… Das er auch- Sorry, Mann.«
»Drei Wochen ist er weg. Drei verdammte Wochen.« Garry wischte sich über die Augen. »Ist doch alles Scheiße.«

Unbemerkt von beiden Jungen hatte Rektor Fumblemore das Wartezimmer betreten. 
»Ihr beiden solltet besser zurückfahren. Man wird euch in 20 Minuten abholen.«
»Ich werd bei ihm bleiben« Francis richtete sich auf. Er sah Fumblemore selbstbewusst an.
»Paul ist nicht bei Bewusstsein. Er wird dich nicht bemerken.«
»Er lebt. Und ich will ihn sehen.« Es war eine Forderung, keine Bitte. »Ich war nicht hier als Sascha… starb. Ich hab ihn allein gelassen. «
»Du wusstes doch nicht das er-«
»Ich werd Paul nicht auch alleine lassen.«
Der Rektor betrachtete den Jungen eine Sekunde, nickte dann. Francis war kein Kind mehr. Es war sein Recht seinen Freund zu sehen.
»Nun gut. Ich werde die Schwestern informieren, sie bitten dir ein weiteres Bett einzurichten. Melinda wird ebenfalls hier bleiben, falls es Veränderungen gibt.«

***

Im Auto sprach Garry kaum. Er konzentrierte sich auf die in tauenden Schneeflockenden irisierenden Lichter der Strassenlaternen, die gelb den Asphalt erleuchteten.  Fumblemore saß auf dem Vordersitz, sprach leise mit Leander van Gey, der zustimmend nickte.
Garry versuchte Fagrid zu erreichen, doch nur dessen Anrufbeantworter ging ran. Er probierte es bei Hermoaning.

»Hey…« Das Mädchen und ihre Freundin  hatten auf Garrys Rückkehr warten wollen, doch Miss Sixty bestand  darauf, daß sie für die Nacht mit evakuiert wurde. Morgen würde man ihre Tante informieren und weitersehen. Hermoaning hörte Garry stumm zu, als er berichtet wie es Paul ging.
»…Francis ist dageblieben, morgen wissen wir, ob Paul durchkommt«
»Kommst du zu uns? Wir sind gleich da..? «
»Fumblemore muss noch kurz was im Rathaus erledigen, ich werd mit van Gey zurückfahren und meinen Kram holen. Schwester Bernd wollt mich nochmal durchchecken ob ich soweit okay bin. Hab fast vergessen, das ich Grippe hab.«
»Dann beeil dich. Es ist alles so komisch. Dani und ich, wir haben einen der letzten Busse erwischt. Oben ist kaum noch einer. Cockwarts so leer zu sehen, das ist verdammt creepy…« 
»Habt ihr Fagrid nochmal gesprochen?« Garry erkannte die Silhoutte des Rathauses zur Linken auftauchen. Der Park in dem er vorgestern noch vor dem Wagen geflohen war, lag in beängstigender Nähe. Van Gey fuhr den Wagen in eine Einfahrt nahe des Rathauses.
»Hat er dich nicht angerufen?« Hermoaning klang überrascht. »Er ist noch in Frankfurt, wollte dir etwas wichtiges sagen.. ich dachte er hätte sich-?«
Fumblemore klaubte seine Aktentasche vom Rücksitz. Er schaute Garry ernsthaft an.
»Wartet nicht auf mich, ich komme sobald ich das hier erledigt habe. Und ich will keine weiteren Eskapaden Garry, ist das verstanden? «
Der Sechzehnjährige nickte.
Fumblemore wandte sich an van Gey. »Sorgen Sie dafür, daß er sich bei Bernd meldet und sofort seine Sachen packt. Ich will heute Nacht kein Kind mehr im Haus übernachten haben. Überprüfen Sie persönlich nochmal alle Zimmer!«
»Selbstverständlich Alberich. Sie haben richtig gehandelt, wir dürfen die Kinder keiner weiteren Gefahr aussetzen. Ich werde mich persönlich um Poppers kümmern.«
Der Rektor nickte beiden nocheinmal zu, ehe er die Tür schloß und die Stufen des Rathauses erklomm. Der Wagen fuhr an und brachte sie fort von dem schrecklichen Park.
»Garry bist du noch da?«
Die Stimme Hermoanings klang besorgt.
»Sorry, der Direx hat mich nur nochmal ermahnt.Wir fahren jetzt hoch. Ich versuch gleich nochmal Fagrid zu erreichen. Aber der Empfang ist hier ziemlich schlecht. Wenn er sich bei euch meldet, sagt mir Bescheid. Vielleicht hat er Tom gefunden!«
»Das hätt er uns bestimmt gesagt. Es war etwas anderes… – Garry ich muß schlußmachen, wir sind da. Ich meld mich nachher wieder!«
Blechernes Stimmengemurmel mischte sich mit dem zischen sich öffnender Bustüren. Dann legte das Mädchen auf.

Sofort tippte Garry eine SMS-Nachricht an Fagrid. Er würde nach Cockwarts fahren um zu packen, Fagrid solle ihn anrufen, sobald es Neuigkeiten gäbe. Je näher sie dem Internat kamen, desto schlechter wurde der Empfang. In der Entfernung waren die Erker und Türmchen von Cockwarts zu erkennen, nur in wenigen Fenster brannte noch Licht. Ein letzter Reisebus kam ihnen entgegen, eskortiert von einem Polizeiwagen.
Der Junge blinzelte ins Dunkel,  erkannte niemanden hinter den beschlagenen Fenstern.

Sie bogen an Fagrids Hütte ab, die verlassen an der Mauer stand, die das Internat umgab, bogen in den Weg ein,  der zum Haupttor hinaufführte. Leander van Gey schaltete die Scheibenwischer an, als die flirrenden, im Scheinwerferlicht tanzenden Schneeflocken zu dicht wurden um durch die Scheibe noch etwas zu erkennen.
Sie hatten kaum ein Wort gewechselt und Garry war froh um daß Schweigen. Er wußte nicht was er mit seinem Kosmetiklehrer hätte reden sollen. Statt dessen starrte er in die blauschwarze Dunkelheit, die nur von wenigen Laternen etwas aufgehellt wurde. Eine Gestalt schien Nahe des Brunnens zu warten, zog sich jedoch zurück, als der Wagen näher kam. Als sie vor St. Constantines hielten, dessen Einfahrt eine dreckige Pfütze war aus Busspuren, schwarzem Schnee und wässrigem Matsch, war die Gestalt verschwunden.
Garry stieg aus.

***

Die Gänge, Treppen und Hallen des Internats waren verlassen. Garry schritt einsam hinauf ins Spiffydorm-Haus, vorbei an Überresten einer überhasteten Abreise. Einer Flucht, dachte er.
Fumblemore mochte noch von einer vorrübergehenden Maßnahme reden, einem Zugeständnis an die Behörden, die ein Zeichen forderten, die endlich Ruhe haben wollten und keine weiteren Skandale, aber als Garry durch die verwaisten Räume St. Constantines ging, spürte er mit jeder Faser, daß der Weg hier endete. Fumblemore war ein geschickter und einflußreicher Mann, aber sie würden ihm nicht erlauben, seine Schule weiterzuführen. Jene Schule die so vielen  ein Dorn im Auge war. Jene Schule für diese Kinder.

Viele Zimmertüren standen offen. In den Gängen waren Fußabdrücke von Dreck und Schnee zu sehen. Einige noch nicht ganz getrocknet. Binnen weniger Stunden hatten alle ihre Sachen zusammengerafft und waren mit Bussen weggekarrt worden. Kleidungsstücke, Bücher, Comichefte und Notizen waren zurückgeblieben, übersehen worden oder aus den Taschen geglitten. Sie waren müde Erinnerung an Garrys Schulkameraden.

Als Garry sein Zimmer betrat, schaffte er es noch bis zum Bett, ehe ihm die Beine nachgaben, als er endlich das volle Ausmaß der Evakuierung realisierte. Erst unmerklich, dann immer schneller, war sein Leben aus dem Gleichgewicht geraten. Ein Kreisel, den ein kleiner Schubs ins Trudeln bringt, bis aus dem Schwanken ein Taumeln wird, ehe er endgültig zum Erliegen kommt. Der Anschlag auf Fagrids Haus. Die Schmierereien. Der Streit mit Tom. Der beinah Unfall dessen Ereignisse letztlich zu jener unglückseeligen Silvesternacht führten. Von diesem Moment, an war systematisch jede Normalität einer bizarren Anspannung gewichen, hatte sich nach und nach jede Gewissheit aufgelöst.

Francis Bruder war umgebracht worden. Tom verschwunden. Zlatko hatte ihn verraten. Paul  Selbstmord begangen.

Garry saß auf dem Bett und versuchte sein Zittern zu ignorieren. Fahrig glitt sein Blick über seine Sachen, die er eigentlich zusammenpacken musste. Toms Sachen.  Nichts ist mehr in Ordnung, auch die Mitte stimmt nicht mehr.

Das Summen seines stumm geschalteten Handys riß ihn aus den Gedanken. Er wußte nicht wie lange es schon geläutet hatte, als er den Anruf endlich annahm.
»Hallo?«
Am anderen Ende war nur ein leises Surren, ein Geräusch zu hören, daß Atmen sein konnte oder eine Störung.
»Hallo? Hallo? « Garry kam sich dämlich vor und wußte doch nichts anderes zu sagen.
Nach einigen weiteren Sekunden atmen und Stille klickte es und die Leitung war tot.
Erst jetzt schaute der Junge auf die Anruferliste.

Das Display zeigte: Letzter Anrufer: Paul Handy.

 

Kapitel 34 – Shock Treatment

Die Zeit verrann. Es schneite und die Flocken pappten am Fenster, trudelten in kleinen Tränenbächen am Fenster hinab. Garry warf planlos seine Sache in den großen Rollkoffer den er aufs Bett gewuchtet hatte. 
Es konnte nicht Paul sein. Paul lag im Krankenhaus. Im Koma. Vielleicht sogar schon… Garry erschauerte und verbat sich weiterzudenken. Es war Unsinn. Es war…

Es klopfte an der Tür und der Junge ließ einen Stapel CDs fallen die er grade in eine Seitentasche des Koffers sortierte.
»Garry? Du sollst dich beeilen.« Es war nur Benjamin Fenloh, der in der Tür stand. »Wir fahren in zwanzig Minuten!«
Der schmächtige Junge trug einen überfüllten Chiemsee-Rucksack über einer Schulter und einen Koffer.
»Was machst du denn noch hier? Ich dachte der letzte Bus ist schon weg?«
»Schwester Bernd bat mich ihm noch etwas beim packen zu helfen. Ich helf doch ab und zu aus… und Bernd hält doch… ein Auge auf mich, seit dem Vorfall.«
Garry nickte. Bernd. Er musste sich noch von ihm durchchecken lassen, ehe er los konnte.
»Ich pack die Sachen gleich zu ende. Ich muß nochmal eben zu Bernd, ich beeil mich…«
»Aber wir wollen gleich los…« Ben wich zurück, als sich Garry an ihm vorbeidrängte und den Gang hinunterlief.

***
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Das Stethoskop war wie ein Eiszapfen der sich gegen seine Rücken presste. Noch einmal atmete Garry mit offenen Mund ein und aus.
Bernd schien zufrieden zu sein.
»Na zumindest haben wir dich wieder unter den Lebenden.« Er schaute auf das Ohrthermometer, welches ein leises Fiepen von sich gab, das in der Stille der verlassenen Krankenstation sehr verloren klang. »Leicht erhöht, aber kein Fieber mehr. Aber du nimmst die Tabletten noch zwei Tage, hast du verstanden?«
Der Junge zog seinen schwarzen Esprit-Sweater wieder über und nickte gehorsam. Sein Blick glitt über die leeren Betten, die ausgebleichten Trennvorhänge, die abblätternde lindgrüne Farbe der Wände die aus Geldmangel schon lange nicht gestrichen werden konnten.  Schulschwester Bernd versuchte sich in einem aufmunternden Lächeln, doch es kaschierte nur schlecht seine Trauer. Die Schließung von St. Constantine hieß auch für ihn das ein Lebensabschnitt zu Ende ging.
»Verdammt, wie schnell man doch alles zusammengepackt hat. Alles verlassen. Ich hab die Schule noch nie so erlebt. Nichtmal in den Ferien.« Bernd schaute sich nochmal um., starrte in den Gang vor der Krankenstation. »Es waren immer Schüler hier.«
»Ben ist noch hier…«
»Ich weiß. Er hat mir geholfen vorhin…«
»Wie geht es ihm? Er wirkte… irgendwie verstört vorhin?«
»Was erwartest du? Er hat niemanden. Diese üble Geschichte mit Rape, wer weiß wie lange das schon ging. Dann stirbt sein einziger Freund, den er hier hatte…«
Garry überlegte eine Sekunde.
»Sascha? Er war Bennies Freund?«
Bernd begann langsam seine übriggeblieben Sachen einzusortieren. »Fenloh hing seit ner Weile immer mit Sascha herum. Die beiden verstanden sich gut, daher kannte ich den Kleinen überhaupt nur. Er kam oft mit, wenn Sascha seine Medizin abgeholt hat… Seit seinem Tod hat Bennie niemand mehr. Manche Leute haben wirklich nur Pech. Ich hab ihn versucht ihn etwas abzulenken, beschäftigt zu halten nachdem er aus dem Krankenhaus zurück war. Er schien ganz froh zu sein… das er eine Aufgabe hatte. Er sich doch wieder ins Schulleben einfindet.«
Bernd stellte ein paar Ampullen zurück in den Arzneischrank und schloß ihn ab.
»Aber damit wird es ja jetzt wohl nichts mehr.«  
»Es hätte nicht so enden sollen.« Garry ließ sich vom Behandlungstisch gleiten, zerriss dabei die Papierauflage die hinter ihm zu Boden glitt.
»Es ist nicht das Ende. Du wirst sehen Fumblemore fällt etwas ein. Ihm ist noch immer etwas eingefallen.«
»Es hat zwei Tote gegeben, einen Mißbrauchsskandal… Fumblemore-«
»Paul ist nicht tot! Garry!«
Natürlich. Paul war nicht tot, er lag im Koma.  
»Sorry. Ich wollte nicht sagen, daß er- Ich wollte nur-« Garry zuckte die Schultern. »Es ist alles so hoffnungslos.«
»Garry, red nicht so. Wir werden kämpfen, gib du jetzt nicht auf. Paul würde das nicht wollen.« Der Mann packte langsam seine Sachen zusammen. Er wischte noch einmal mit einem Desinfektionstuch über seine Ablage und schaute prüfend auf seine Krankenstation. Dann nahm er seine Tasche und ging in RIchtung Tür. »Fumblemore würde nicht wollen das du so redest. Und Tom auch nicht…«
Er schaltete das Licht aus. Seine Silhoutte zeichnete sich im Türrahmen ab.
»Komm, hol dein Zeug. Ihr wollt bald fahren.«
Garry beeilte sich den dunklen Raum zu verlassen.

   

***

Kurz darauf hörte er den Motor von Bernds Skoda aufheulen, der deutlich seinen Unmut über die Kälte zum Ausdruck brachte. Der Junge ging langsam zurück in den Spiffydormtrakt. Vorbei am Speisesaal mit seinen hochgestellten Stühlen, die im Halbdunkeln wie Skelettformationen aussahen. Wie die Rippenbögen einer Riesenschlange, die sich hier hingelegt hatte um ihren Frieden zu finden. Vorbei am Eingang zum Lehrerspeisesaal. Dem langen Weg der zu den Sporthallen und Umkleiden führte. Den Toiletten in denen sie Paul gefunden hatten.

Erstmals fiel Garry auf wie sehr die Haupttreppe quietschte, wenn man sie hinaufging. Abseits vom geschäftigen Treiben der Schule, jetzt da nur noch wenige Menschen im Gebäude waren hallte jedes Geräusch doppelt laut.
Wieder kehrten Garrys Gedanken zurück zu dem seltsamen Anruf, der ihn vorhin erreichte. Paul Handy. Es machte keinen Sinn. Langsam bog der Junge um die Ecke zum Flur der ihn zu Spiffydorm führen würde. Unbewusst hatte er sein Mobiltelefon herausgeholt und betrachtete die Liste seiner Anrufe.
Paul Handy.
Der Gemeinschaftsraum lag vor ihm. Ebenfalls verlassen. Ein paar leere Flaschen standen auf dem Tisch. Garry schaute in die Flure die zu den Zimmer führten, zu seinem und Toms Raum.
Paul Handy. Garry starrte wieder auf das Display seines Nokia. Die Beleuchtung des Handy verlosch und er drückte eine Taste um sie zu reaktivieren. Drückte einmal zuviel. Denn schon wählte das Gerät Pauls Nummer.

Garrys Finger schwebte schon über dem Auflegen Button. Er wollt enicht das jemand abnahm. Egal welche Erklärung es geben mochte, er konnte es jetzt nicht ertragen, wenn am anderen Ende tatsächlich jemand abnehmen sollten.
Nicht heute. Nicht hier im menschenleeren Internat, während in der Dunkelheit um die Mauern ein Schneesturm heraufzog.
Es tutete.
Garry wollte auflegen.

Es tutete.

Es klingelte.

Es klingelte. Garry erkannte Pauls Klingelton. Sein Lieblingslied. House of the rising sun. Und es klingelte hier. Der Junge lauschte und ging dabei vorsichtig in die Richtung aus der die Melodie zu ihm drang. Bald stand er vor seinem Zimmer, vor dem ein Chiemsee-Rucksack lag.

“…and it had been the ruining of many a poor boys….” schnarrten Eric Burdons Stimme durch den Stoff. Garry stand erstarrt vor seiner Zimmertür. Paul Handy, verkündete sein Handy. Er drückte auf Auflegen und kniete sich hin. Wie auf Autopilot öffnete er den Rucksack und erkannte zwischen Kleidung, einem Ipod, Büchern und DVD-Roms das schwache Glimmen eines Displays. Er angelte ein K700 hervor. Kein Zweifel, es war Pauls.
Ein Geräusch ließ den Sechzehnjährigen aufschauen. Der Besitzer des Rucksacks war unbemerkt hinter ihm aus Garrys Zimmer gekommen.
»Bennie? Wieso hast du- Was machst du in meinem Zi-?«
600KiloVolt verhinderten mit hässlich knatterndem Geräusch das Garry den Satz beenden konnte. Er verlor die Kontrolle über seine Muskeln und krümmte sich schmerzgepeinigt auf dem abtretenen Teppich zusammen.
Über sich gebeugt erkannte er durch tränende Augen Ben der sich mit dem Elektroschocker zu ihm runterbeugte.
»Recht so, Sir?« Ben drückte die Elektroden des Geräts neuerlich schmerzhaft gegen den Arm des Sechzehnjährigen und betrachtete interessiert wie Garry gepeinigt aufheulte. Sein rechter Arm war völlig taub. Kribbelte wie eingeschlafen, während sein Herz im Schweinsgallop jeden dritten Schlag auszulassen schien.
»Ben was-« Garry  versuchte wegzukriechen, doch der andere Junge drückte ihn mit einem Fuß zu Boden. Er schwenkte den Buzzer langsam vor Garrys Gesicht. Lichtbögen sprangen zwischen den Elektroden und britzelten bösartig. Benjamin Fenloh lächelte.
»Alles okay so, Sir? Sir Poppers?« der Junge riß Garrys Sweater hoch und jagte ihm eine weitere Ladung in den Körper. Garry zuckte unkontrolliert als der Strom seine Muskeln kontraktierte. Ben verlor für einen Moment das Gleichgewicht.
Garry nutzte die Chance und rammte seinen Fuß in den Magen des Vierzehnjährigen. Ben ging zu Boden, nach Luft japsend, er tastete nach dem Buzzer der ihm entglitten war und einige Zentimeter neben dem Rucksack lag.
Garry blieb keine Zeit sich zu berappeln. Er robbte sich nur mit den Beinen und seinem linken Arm vorwärts, als ihn auch schon Bens Hand erfasste und an den Haaren zurückzog. Garry jaulte auf, er riß einen Arm zurück der den Jungen an der Schläfe erwischte. Beide versuchten den Buzzer zu erreichen. Benjamin hatte ihn fast erreicht. Schon umfassten seine Finger die Spitze…

…als Garry den Taster betätigte und der Strom durch Bennies Hand in seinen Körper schlug. Der kleinere Junge zuckte wie eine Lumpenpuppe an Spielfäden. Garry umfasst den Buzzer mit seiner noch funtionsfähigen linken Hand und verpasste dem Jungen einen weiteren Schlag, der diesen reglos und schwer atmend liegen ließ. 

Ächzend stützte Garry sich auf, bis es ihm gelang sich an die Wand zu lehnen. Nur langsam kehrte das Gefühl in seine Extremitäten zurück. Er versuchte zu realisieren was überhaupt los war. Aus tränenden Augen starrte ihn Benjamin Fenloh hasserfüllt an.

»Ben… warum…? « Noch unsicher versuchte er aufzustehen, stützte sich an der Wand ab. Sein Blick fiel erneut auf Pauls Handy, welches ihm durch die Stromattacke entglitten war. Ben? Benjamin Fenloh, der Junge für den er sich eingesetzt hatte, der von Rape mißbraucht wurde, der Junge für den er bei Zlatko um einen Gefallen gebettelt hatte? Wieso sollte Ben ihn angreifen, wieso…

Und Garry dachte an Francis Stimme vorhin im Hospital. “Mit wem hat Paul geredet? Wer war der andere Junge? ” Er dachte an Zlatkos Worte bei ihrem letzten Treffen: “..frag dich mal, warum Francis Ben angesprochen hat vorhin“. Was hatte Francis bei seinem Zusammenbruch im Speisesaal  Ben gefragt?

Hat er noch was gesagt…? Benny!”

Hat er noch was gesagt? Sascha war gestorben und Francis war nicht bei ihm gewesen.

“Hat er noch was gesagt…? Benny!”

Ben war im Krankhaus gewesen vor Saschas Tod. In den chaotischen Tagen nach Rapes Abgang und der ganzen unappetitlichen Geschichte. Ben war im Krankenhaus untersucht worden. Er musste Sascha noch gesehen haben, ehe er starb.
Er war einer der letzten die ihn sahen. Er war ein Freund, er würde ihn sicher besucht haben. Grade jetzt, da Sascha sich zu erholen schien und wieder zu Bewusstsein kam. Bennie.
Nein. Das war absurd. Nicht Bennie.

Garry starrte auf den Elektrobuzzer in seiner Hand. Er sah zu dem Jungen hinunter der sich grade wieder aufsetzte. In seinen Augen spiegelten sich wütende Tränen. Seine übliche Zurückhaltung, seine gedämpfte Stimme, seine Körperhaltung die immer suggerierte das er jede Sekunde in sich selbst zusammenfallen könnte, war einer zornigen Stärke gewichen. Bennie starrte Garry an.
»Na was ist Poppers? Überrascht?«
Garry sah ihn stumm an. Noch immer war sein rechter Arm taub, schmerzte sein Leib von den Stromschlägen, bumperte sein Herz im Doppeltakt. Er schaute zwischen dem Jungen und dem K700-Handy hin und her.
»Was hast du mit Paul gemacht? «
»Was denkst? Sir?« Benjamin leckte sich langsam über die Lippen. Er blutete dort wo ihn Garrys Arm erwischte hatte.
»Du warst das. Du hast Paul gedroht! Du hast ihn..«
»Jetzt krieg dich ein, Poppers. Paul wußte sehr gut was er gemacht hat. Er brauchte nur etwas Motivation um sich zu verabschieden.« Benjamin schob sich langsam an der Wand hoch, seine Augen flackerten zwischen Garry und dem Buzzer hin und her. »Aber du weißt ja, das Paul den Stimmungschwankern nie abgeneigt war. Ich hab ihm lediglich etwas stärkere verabreicht. Einer der Vorteile, wenn die liebe Krankenschwester einem vertraut.«
»Bernd hätte dir nie-«
»Bernd brauchte mir nichts geben. Ich weiß wo er seien Sachen aufbewahrt. Und wer achtet schon drauf, wenn der arme traumatisierte Junge den lieben Francis besuchen kommt und dabei ein paar Pillen mitnimmt. Falls es dich beruhigt, Paul hat nichts gespürt…«
»Du hast ihn… « Wieder schoben sich die Bilder in Garrys Kopf. Paul der blutverschmiert auf einer Trage hereingebracht wird, die verstörten Blicke seiner Mitschüler. Bernd der panisch nach dem Krankenwagen ruft. »Francis wird dich umbringen.«
»Francis? Der arme kleine Francis. Ich könnte ihm so einiges über seinen Paul erzählen… Wusstest du das er Sascha in der Silvesternacht aus dem Haus gelockt hat?«
Garrys Hand verkrampfte sich um den Elektroschocker.
»Paul ist Francis bester Freund, er hätte nie etwas getan..!«
»Er hat, Poppers. Er hat. Weißt du nicht, das er es war, der Francis und Tom damals zusammenbrachte nach eurem Krach? Warum glaubst du hat er das gemacht?«
»Paul hat was?«
»Er wollte Tom aus dem Weg haben. Damit er dich ganz für sich haben kann…Was lag da näher als ihn mit Francis zu verkuppeln. Hat nur leider nicht ganz geklappt.«
Tom. Garry wurde wieder daran erinnert, wie lange sein Freund nun schon verschwunden war. Und an ihren Streit an Silvester, als Tom ihm seine gesamte Ignoranz um die Ohren schlug. Ob er nicht mitbekommen hätte, das Paul ihn abaggerte. Garry hatte es nicht kapiert. Ausgeblendet. Paul war nur ein Freund gewesen. Der Spielmacher beim Völkerball. Sicher er hatte seine Probleme mit Tom gehabt, aber er war doch nicht in Garry verknallt. Er war-
»Was hat das alles mit Sascha zu tun?«
Ben schwieg.
Garry versuchte zögerlich seine recht Hand wieder zu bewegen. Nur langsam verschwand das Ameisenkribbeln, kehrte das Gefühl zurück. Er deutete mit dem Buzzer auf Benjamin.
»Du hast Sascha rausgelockt. Er war dein Freund…du hast ihn an Silvester…«
Benjamin lächelte und folgte mit den Augen den Metallspitzen des Buzzers.
»Ich? Erinnerst du dich nicht mehr? Ich stolperte doch ganz zufällig in das Zimmer in dem du eingepennt warst… «
Die Schemen der Silvesternacht trieben vor Garrys geistigem Auge. Er erinnerte sich an das fremde Zimmer. An einen anderen, völlig verängstigten Benjamin Fennloh, der sich zitternd neben ihn gelegt hatte und das Schlimmste zu erwarten schien.
»Dein Zimmer… Es war dein Zimmer.«
»Blödsinn. Ich bin dir gefolgt Poppers. Erinnerst du dich? Du hast im Waschraum gekotzt und mich angeschrieen. Ich bin dir nur gefolgt… oh du warst ein echter Gentleman, als ich meine  mißbrauchtes Hascherlnummer gespielt habe. So mitfühlend.«
»Das war alles nur Show? Tom hatte Recht… Du hast mich…«
»Das geht dich nen Dreck an. Du wolltest dich doch eh nur besser fühlen. Garry der Held. Kümmert sich um den armen mißbrauchten Jungen. Was weißt du schon davon wie das ist? War doch ne klasse Ablenkung von deinem Stress mit Tom. Ich war echt gerührt, das du sogar Zlatko bekniet hast mir zu helfen… «
»Was ist mit Sascha? Wenn du Sascha in der Nacht nicht rausgelockt hast…?«
»Frag Paul. Oh, das geht wohl schlecht, derzeit. Paul schuldete uns noch etwas… einen Gefallen…«
»Ihr habt ihn erpresst damit er Sascha in eine Falle lockt?«
Garry ging einen weiteren Schritt auf Benjamin zu. Der Junge behielt ihn im Auge und massierte abwesend seinen Unterarm. Nachwirkungen des Elektroschocks.
»Paul dachte es wäre nur ein Scherz… Er dachte ich wollte den Kleinen überraschen. Er hat ihn einfach dort auf dem Sportplatz stehen lassen. Nur das ich nicht kam. Noch nicht… «
Die Augen Bennies wurden für eine Sekunde unstet, er schüttelte unmerklich den Kopf.
»Naja….  Paul war es auch der uns sagte, wo du dich mit Zlatko triffst.«
»Wenn er nicht gewsen wäre, wäre ich in dem See ertrunken! Er hat mich rausgezogen!« Garry stieß den kleineren Jungen gegen die Wand. Er stellte sich vor ihn.
 »Hast du dich nicht gewundert, warum er plötzlich dort am auftauchte? Sehr dumm von ihm sich einzumischen. Die Leute hängen einfach zu sehr an dir Poppers.«
»Deswegen? Du hast ihn… weil er mir geholfen hat?«
»Weil er lästig wurde. Genau wie Sascha. Und du. Und Tom.«

Als Garry sich wieder im Griff hatte, kauerte Benjamin in einer Ecke des Flurs und blutete aus Nase und Mund. An Garrys Handknöcheln klebte Blut. Tauber Schmerz kribbelte in der Faust, stach bis ins Handgelenk hinein. Benjamin heulte stumm und starrte ihn trotzig an.
»Wo ist Tom? Was hast du mit Tom gemacht?«
»Glaubst du das macht mir was? Glaubst du kannst mir wehtun? Alles was du kannst, hab ich schon durch. Na komm schon, Poppers.« Ben senkte langsam die Arme mit denen er sich Garrys Schlägen erwehrt hatte. Er zog Rotz hoch und spuckte ihn gegen Garrys Hose.
Zwei weitere Schläge rissen seinen Kopf nach links und rechts. Garry packte ihn am Hals und zerrte ihn hoch.
»Wo ist Tom?«
»Fick dich, Sir!«

Garry holt zu einem weiteren Schlag aus, als sein Hand von hinten gepackt und auf den Rücken gedreht wurde. Der Elektroschocker wurd mit Gewalt seinem Griff entrissen. Gleich darauf ließen ihn Stöße aus dem Buzzer erneut zu Boden sinken.

Benjamin sah auf.

»Na endlich, verdammt! Wo zum Teufel bist du gewesen??«

Serverprobleme: Batzlog offline

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Das Batzlog war heute mehrfach für einige Zeit down. Schuld dran ist wohl die Notbremse, die der Provider gezogen hatte, nachdem eine Kategorie meines Blogs plötzlich Unmengen von Traffic erzeugte. Daraufhin wurd prompt erstmal das ganze Verzeichnis von Webhostone gesperrt.

Mittlerweile konnte ich es zwar wieder entsperren, hab aber keine Ahnung was der Grund des hohen Serverloads war und ob das nicht nochmal vorkommen kann.

Ich befinde mich noch in Korrespondenz mit dem Provider um rauszukriegen, was da eigentlich los ist.

Creutz…

UPDATE: Jörg hat die Sache aufgeklärt. im T-Online-Unterhaltungsportal wurden Harry-Potter-Parodien vorgestellt und dabei u.a. auch mein Fortsetzungsroman “Garry Poppers” ausführlich und lobend erwähnt. Das find ich natürlich erfreuclih, führte aber wohl leider zu einem derartigen Ansturm, daß der Server auf dem diese Domain läuft die Grätsche machte und der Webhoster die erwähnte Notbremse zog. Ich hoffe das normalisiert sich rasch wieder, damit weitere Totalausfälle vermieden werden und Garry Poppers bald wieder erreichbar ist.

Garry Poppers – Kapitel 35

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Nach dem jüngsten Ansturm und dem sehr willkommenen Lob für die Abenteuer von Garry Poppers, wird es doch mal wieder Zeit für eine weitere Folge. Für Neueinsteiger und diejenigen, die ihr Gedächnis nach der letzten Folge nochmal auffrischen möchten, gibt es wie immer hier eine aktualisierte Zusammenfassung: “Garry Poppers – The story so far”

Und jetzt keine weitere Vorrede mehr, ich wünsche allen neuen und allen Stammlesern wieder viel Spaß bei der neuen Folge. Kommentare sind wie immer sehr willkommen.

Schwarz, Weiß, Grau

»Was für eine Sauerei, Poppers.«

Schmerz pulsierte hinter Garrys Stirn, als er wieder zu Bewusstsein kam.
Der Geruch einer Lache Erbrochenes vor ihm vermischte sich mit dem saurem Geschmack in seinem Mund und dem entfernten Nachgeruch des Äthertuches, das ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Er blinzelte im Versuch die verschwommenen Schemen vor seinen Augen in Fokus zu bringen.

Eine Ladung Wasser half ihm dabei. Kaltes Wasser das ihm die Luft aus den Lungen presste und nach Luft japsen ließ. Er kroch auf dem Kachelboden in die hinterste Ecke und starrte den anderen Jungen durch klitschnasse, in die Stirn hängende Haare an.

Benjamin drehte den Hahn zu und beugte sich zu Garry hinab. Ein Pflaster zierte seine Stirn, der Bereich um sein rechtes Auge war leicht geschwollen und ließ die Vorboten eines deftigen Veilchens erkennen.
»Na los steh auf, glaub nicht das ich dich trage.«
Garry versuchte sich aufzusetzen, was nicht einfach war mit auf dem Rücken durch Handschellen gefesselten Händen. Er sah sich um. Er lag in der Duschnische eines der Lehrerzimmer. An den Wänden hingen Kunstdrucke von van Gogh, Gaugin und Klimt. Ein Regal war mit unzähligen Kochbüchern gefüllt, die alphabetisch sortiert schienen.
Rapes Büro.
»Mach mich los.«
»Halts Maul und steh auf. Du siehst aus wie ne Sau. Wie kann man sich nur so einkotzen…«
Benjamin drehte den Duschregler auf heiß auf und richtete den Duschkopf auf Garry. Dampfendes Wasser schoss ihm ins Gesicht, wusch das letzte Erbrochene von seiner Kleidung und durchnässte ihn bis auf die Haut. Er schrie auf, verlor das Gleichgewicht und fiel neuerlich zu Boden. Sein Gesicht war Krebsrot.
»Das war wohl etwas heiß. Entschuldige«, Ben sah auf Garry herab. Er drehte den Mischregler in die andere Richtung und eisiges Wasser regnete auf den Sechzehnjährigen herunter.

»Wechselwarm soll ja gesund sein.« Benjamin trat Garry gegen die Beine. Dieser sah zitternd vor Kälte zu ihm hinauf. »Los jetzt.«
»Fumblemore weiß das ich hier bin. Man wird nach mir suchen. Van Gey wartet auf mich.« Garry versuchte sich unter Kontrolle zu kriegen und seine dämlichen Zähne am Klappern zu hindern. Er wollte aufstehen und schob sich mühsam an den Kacheln nach oben. »Du…«
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Leander van Gey kam herein. Er schaute Garry an.
»Ist er wach? Gut. Der Wagen ist gleich da.«
Das Lächeln auf Benjamins Gesicht wurde breiter. Er genoß das Entsetzen, daß sich langsam in Garrys Augen abzeichnete, als er begriff wer es war, der ihm den Arm so schmerzhaft auf den Rücken gedreht und ihn dann betäubt hatte. Der Kosmetiklehrer hatte anscheinend mehr Rezepturen in seinem Repertoire, als nur Faltencremes und Conditioner. Seine Bewegungen waren weniger fließend und efiminiert, als Garry es aus dem Unterricht gewohnt war. Die Stimme klang härter, weniger nasal.
»Ist er fertig?«
»Gib mir noch ein paar Minuten, dann ist er fertig.« Benjamin sah van Gey an. »Hast du meinen Vater erreicht?«
»Er erwartet uns.«
Van Gey. Er hatte von Anfang an dazu gehört. Er wußte über alles Bescheid, was Fumblemore plante. Er war es, den Garry und Paul in der Stadt gesehen hatten, an jenem Abend als Garry fast überfahren wurde. Er hatte Zugang zu allen Gebäuden und Zimmern. Er war es der Garry und Zlatko zusammensetzte, er war es der verständnisvoll tat, als Garry sich noch um Benjamins Sicherheit sorgte.
»Fagrid wird euch umbringen…«
»Garry, ich glaube Fagrid ist zu beschäftigt den guten Rape zu verfolgen und Tom zu befreien…«
Es dauerte wieder viel zu lange bis Garry endlich begriff. Er stieß sich von der Wand an und schritt auf van Gey zu. Benjamin beobachtete ihn und hielt den Elektrobuzzer im Anschlag.
»Rape hat dich nie…«, er sah Benjamin an und schüttelte den Kopf.
»Nicht mit einem Handschlag. Nicht mein Typ. Zuwenig Titten.«
»Aber die Fotos… Ich hab die Bilder gesehen..«
»Auf wievielen davon war Rape drauf, Garry? Überleg genau? Ein bißchen Photoshop wirkt oft wie Magie. Und wir kennen ein paar Leute die wirklich seht gut damit umgehen können. Ich musste ihnen nur ein paar Bilder von Rape liefern… die ich auf seinem Rechner gefunden hatte. Wie unvorsichtig von ihm den Zugang nicht zu verschlüsseln.«
»Rape ist unschuldig?«
»Wer von euch ist schon unschuldig, Garry? Er bekam was er verdiente, genau wie der Rest von Cockwarts. Los beweg dich.«
Benjamin packte Garry im Nacken und dirigierte ihn zur Tür. Van Gey packte einige Unterlagen zusammen und holte eine Schatulle aus Rapes Schreibtisch hervor, die er in eine Tasche steckte.
»Julian dachte immer wir würden uns so gut verstehen. Er hat mir so nette Briefe geschrieben, als wir uns kennenlernten. Wußtest du das er mich bei Fumblemore vorgeschlagen hat, für die Stelle hier?«
Garry wurde in den Flur hinausgestoßen, Benjamin hielt in an der Kette der Handschellen, den Buzzer fest in der anderen Hand.

***

Der Kofferraum öffnete sich. Grob wurde Garry herausgezerrt. Er stolperte auf kiesigen Boden. Ein verlassener Rastplatz, irgendwo twischen Kockshead und der Autobahnauffahrt.
»Wo bleiben Sie?« van Gey, oder wie immer sein wahrer Name lauten mochte, sah ungeduldig auf die Uhr. »Sie erwarten uns bei den anderen. Wenn Alberich zurückkehrt und Garry nicht da ist-«
Benjamin sah ihn verächtlich an.
»Jetzt reiß dich zusammen. Sie kommen schon.«
Nur die funzelige Innenbeleuchtung des Wagens erhellte die Nacht. In der Entfernung konnte man die sich drehende Leuchtreklame eines Möbelmarktes erahnen, doch um sie herum, der Rastplatz, der nahe Wald waren stockfinster.
»Ben–« Garry versuchte das Gesicht des Jungen zu erkennen. Doch seine Augen waren nur schwarze Knöpfe in einer dunklen Maske. »Ich wollte dir helfen. Das sind deine Freunde.. Wie kannst du…«
»Halt die Schnauze, Schwuchtel-« Benjamin, starrte an Garry vorbei in Richtung der Strasse. »Freunde. Arschficker. Solche Pussies wie dein Tommie? Der uns alles über euch verraten hat, als wir ihm vorschlugen, uns mal mit seinem kleinen Bruder zu.. unterhalten? Ihr seit so verfickt berechenbar. « Für einen Moment wurde seine Stimme wieder zu jenem zagenden, unstetem Stammeln, daß Garry als Benjamins normale Art zu reden kennengelernt hatte. »Oh bitte, hilf mir doch, Garry… Ich bin ja so hilflos und klein. Ich ich seh ja so süss aus und beschützenswert und« er verfiel in seine neue, normale Stimme, »ich kann jede von euch Schwuchteln um den Finger wickeln, mit ein bißchen rumgewichse und Arschwackeln. Freunde.« Für eine Sekunde blitzen seine Augen auf, als er zu Garry herüber sah.
»Wenns nach mir gegangen wäre, hätten wir uns die ganze Heimlichtuerei gespart. Es gibt schon Wege dich zum Reden zu bringen…«
»Was wollt ihr? Ich werd euch nichts sagen..«
»Mein Vater wird schon aus dir heraukriegen-«
»Benjamin. Ich denke das ist genug.« van Gey schaute zur Seite als ihm Ben einen vernichtenden Blick zuwarf.
»Sag du mir nicht, wann es genug ist. Hast du verstanden?«
»Dein Vater hat ausdrücklich-«
»Mein Vater wird sicher entzückt sein, wenn ich ihm sage, daß du deine verfickten Hände nicht bei dir behalten kannst-« Ben grinste zufrieden, als van Gey etwas in sich zusammensackte.
»Mein Vater würde dich umbringen, wenn er das Video sähe. «
»Es tur mir leid. Ich dachte nur.. wir sollten..«
»Es tut dir leid, was?«
»Benjamin bitte!«
»Sag es.«
»Es…«, van Geys Stimme zitterte vor unterdrückter Wut, »Es tut mir leid, Sir. Okay. Sir!«
Wütend stieß sich der Mann vom Wagen ab, riß die Tür auf und hockte sich auf den Beifahrersitz. Er blinzelte mißmutig nach draussen.
»Wenn Sie nicht bald kommen, müssen wir mit diesem Wagen fahren.«
»Müssen wir nicht.«
Erst jetzt erkannte Garry die Scheinwerfer am Ende der Strassenbiegung. Ein Auto näherte sich dem Rastplatz. Durch Schneetreiben tasteten Lichtfinger, hinter denen erst nach und nach, wie der Schatten eines großen Tieres, ein Wagen erkennbar wurde.
»Sie kommen. Was hab ich gesagt. Keine Panik.« Benjamin trat einen halben Schritt vor.

Ein Kastenwagen. Gegen das diesige Weissgrau des Schnees, war nur schwer das verwaschene Orange auszumachen.
Der Kastenwagen, der Garry schon zweimal beinahe umgebracht hatte.
Panik kroch in ihm hoch, als der Wagen schließlich abbremste und auf dem Rastplatz zum stehen kam. Die Scheinwerfer verloschen. Zwei Männer, dunkle Umrisse nur, stiegen aus.

+++

Garry stolperte wieder, und mühte sich aufzuspringen, was nicht einfach war mit gefesselten Händen. Die Stimmen hinter ihm kamen näher. Er schaffte es auf die Beine zu kommen, noch immer nicht ganz gewahr, was genau passiert war. Etwas war hinter dem Kastenwagen zersplittert, für eine Sekunde hatte Bens Aufmerksamkeit nachgelassen. Genug Zeit für Garry ihm sein Knie in den Bauch zu rammen, den Buzzer quer über den Asphalt ins verdorrte Gras zu kicken und dann selbst in den Wald zu flüchten, nicht ohne van Geys Hand hart in der zuschlagenden Autotür zu klemmen, gegen die sich Garry mit aller Kraft geworfen hatte.

Groß war sein Vorsprung nicht. Er konnte die Stimmen der beiden Männer und von Ben hören, die krachend das wintertrockene Gehölz durchbrachen. Garry rannte weiter, ängstlich, ohne Ziel, nur weg, weg. Zweige peitschen ihm ins Gesicht, zerkratzen seine Wangen, Eiskristalle ritzen ihm die Haut, gefrorenes Moos machte jeden Schritt zum rutschigen Wagnis. Schon bei Tag wäre es ein herausforderung gewesen, durch den winterlichen Wald zu rennen, bei Nacht war es fast unmöglich. Er konnte sich keine weiteren Ausrutscher mehr leisten. Zumindest hielt ihn die Kälte wach.

Atemlos, Japsend und mit schmerzenden Seitenstichen, blieb er für eine Sekunde stehen. Hielt inne. Lauschte nach den Stimmen, die immer noch viel zu nahe klangen.
»Dort, er ist dort drüben! Bewegt euch verdammt! Oder ich reiß euch den Arsch auf!« Bens Stimme klang fast ein wenig hysterisch. Die Aussicht seinem Vater ohne Garry entgegenzutreten, schien ihn nicht gerade zuversichtlich zu stimmen.
Die Halogentaschenlampen leuchteten dicht an einem Baum vorbei, neben dem Garry sich versteckt hielt. Er wagte nicht zu atmen.

Der Sechzehnjährige schlich in halb geduckter Haltung seitlich weg, als der Lichtstrahl an ihm vorbei war. Ungelenk, bedachte keine verräterischen Geräusche zu machen, taumelte er weiter. Dort, links vor ihm, wurde es wieder etwas heller, er war in einem leichten Bogen gelaufen und würde bald wieder an der Strasse landen. Zwischen den nachtschwarzen Bäumen leuchtet wieder das Drehschild des Einrichtungshauses. Er hielt darauf zu. Vielleicht hatte er Glück, vielleicht würde er es bis zur Strasse schaffen und könnte ein Auto anhalten. Falls sich eins in diese abgelegen Gegend verirrte.
Die Stimmen van Geys, Bens und der Männer waren etwas zurückgefallen. Sie schienen weiter in den Wald hineinzugehen.
Garry blieb stehen. Kaum zehn Meter entfernt war tatsächlich die Strasse. Der Junge hielt sich im Schatten der Bäume. Wenn es ihm gelänge vor den Verfolgern am Auto zu sein, vielleicht könnte er den Wagen nehmen und ihnen entkommen. Er musste sich nur beeilen. In leichtem Trab, die Hände vor sich zusammengekettet, spurtete Garry am Strassenrand, dicht am Wald entlang. Der Rastplatz war in Sichtweite, die Scheinwerfer des Autos brannten noch immer auf Standlicht, der Schlüssel musste noch stecken. Wenn er etwas Glück hatte-
Ein Schatten trat hinter dem Kastenwagen hervor. Verdammt, sie hatten ihn nicht alle verfolgt, einer der Männer war zurückgeblieben! Garry verlor das Gleichgewicht, als ihn eine Hand am Hosenbund packte und in den ausgetrockneten, niedrigen Graben zog, der den Wald von der Strasse trennte. Eine Hand presste sich auf seinen Mund.
»Ruhig!«
Garry widerstand dem Impuls zu kämpfen, der durch seine gefesselten Hände sowieso kaum ernstgenommen werden konnte. Eine Hand drückte seinen Kopf nach unten, als auch schon der Taschenlampenstrahl des zurückgebliebenen Mannes über sie hinwegglitt.
»Komm raus! Los mach schon!« Die Stimme des Mannes dröhnte. Plötzlich war die Person neben ihm verschwunden und er hörte nur die Schritte, die Stiefel auf verschneitem Kiesboden näher kommen.
»Na also. Los steh auf!«
Der Taschenlampenstrahl leuchtete direkt auf ihn hinunter. Garry blickte auf, erkannte nur eine Silhoutte, die ihn mit Licht blendete.
»Na mach schon Bursche!« Der Mann ließ die Lampe sinken um in den Graben hineinzugreifen, Garry hochzuzerren. In diesem Moment baute sich hinter dem Mann ein zweiter Schatten auf, der ausholend etwas über seinem Kopf schwang.
Garry realisierte nur, daß sich die Hand des Mannes öffnete und ihn losließ, gleich nachdem dieses grauenhafte, organisch-metallene Geräusch verklungen war. Halb verwundert, halb wütend drehte sich der Mann um, als ihn der zweite Schlag mit dem Aluminiumschläger an der Schläfe erwischte. Irgendwas knirschte hässlich, als er mit einem erstaunten Grunzen zu Boden ging. Garry schaffte es grade noch sich aus dem Weg zu rollen, damit der Mann nicht auf ihn stürzte.
Eine Hand griff nach Garrys Arm, zerrte ihn wieder auf die Beine.
»Kommt jetzt, wir müssen weg eh sie zurückkommen.«
Garry stolperte hinter dem Anderen her, aus dem Graben hinter ihnen war ein Stöhnen zu hören. Der Mann war schon dabei sich aufzustemmen. Halb benebelt wurde Garry auf den Beifahrersitz des dunklen Kastenwagens geschoben.
»Fuck, die Schlüssel! Wo sind die Scheiss-«
Der Andere rannte zurück. Den Baselballschläger erhoben, hielt er zielgenau auf den sich taumelnd nähernden Mann zu. Aus dem Lauf verpasste er ihm einen weiteren Schlag, der diesen zu Boden brachte. Garry sah den Schläger noch zweimal auf den Kopf des Mannes niedersausen, der Andere rollte den leblosen Körper danach herum und durchsuchte seien Kleidung.
Aus dem nahen Wald waren schon wieder die Strahler der Taschenlampen zu sehen. Sie kamen zurück. Ben, van Gey, der andere Mann. Jede Sekunde würden Sie aus dem Wald hervorbrechen, jeden Moment konnten sie-
Der Andere ließ sich in den Fahrersitz fallen und zog die Tür zu. Der Baseballschläger, an dem Haare und kleine rote Spritzer hafteten wurde in den Zwischenraum der Sitze geworfen.
»Schön dich zu sehen, Poppers.«
Die Halogenstrahlen ihrer Verfolger flackerten über die Windschutzscheibe und erhellten ihre dreckverschmierten Gesichter.
»Ich hoffe ich kann diese Kiste fahren.«
Zlatko rammte den Zündschlossel ins Schloss und startete den Motor.

Garry Poppers – Kapitel 36

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Tada! Zeichen und Wunder und sowas: Nach nichtmal einem Monat gibt es schon eine neue Folge mit Garry Poppers weiteren Erlebnissen in seinem Kampf mit Mort Goldenrohr.

Für die immer noch dazukommenden Neueinsteiger und diejenigen, die ihr Gedächnis nach der letzten Folge nochmal auffrischen möchten, gibt es wie immer hier eine aktualisierte Zusammenfassung: “Garry Poppers – The story so far

Wer lieber ganz am Anfang beginnen möchte: Hier gibts die erste Folge.

Und jetzt keine weitere Vorrede mehr, ich wünsche euch allen wieder viel Spaß bei der neuen Folge. Kommentare sind wie immer sehr willkommen.

***

Road Movie

Langsam blieben die Lichter des anderen Wagens hinter ihnen zurück.
Garry wagte kaum den Blick vom Rückspiegel abzuwenden. Seit zehn Minuten ruckelten und schlidderten sie mit dem behäbigen Kastenwagen die Strasse entlang. Zlatko hatte sichtlich Mühe das Lenkrad zu beherschen und den Wagen auf der verschneiten Strasse auf Spur zu halten.
»Sie sind weg…«, sagte Garry schließlich. »Glaub ich…«
»Ohne Luft in den Reifen, kommen sie nicht weiter bei dem Wetter«, Zlatko wagte einen kurzen Seitenblick auf Garry in dessen Haaren noch immer trockenes Laub klebte, dessen Wangen noch immer von Kratzern gezeichnet, dessen Hände immer noch mit Handschellen gefesselt waren.
Garry hielt sich am Armaturenbrett fest, als der Wagen einmal wieder bockte und zur Seite glitt. Er versuchte noch immer zu kapieren, was überhaupt passiert war. Ben und van Gey… standen auf Morts Seite. Ben war….was? Morts Sohn? Sie hatten ihn die ganze Zeit manipuliert, mißbraucht um nebenbei ganz Cockwarts zu Grunde zu richten.

Der Junge sah wieder zu Zlatko, dessen Auftauchen ihm immer noch wie ein Wunder vorkam. Er hatte keine Ahnung wo Malejoy plötzlich hergekommen war und noch purzelten die Gedanken in seinem Kopf zu wild durcheinander, als das er klare Fragen stellen konnte. Er schaute den anderen Jungen nur an.
Zlatko machte selbst den Eindruck, sein eigenes Abenteuer erlebt zu haben. Die sonst so penibel gestylten Haare standen verschwitzt und dreckig vom Kopf ab. Er trug eine grobe schwarze Baumwolljacke, wie sie Security-Leute anhatten.Seine Hose war ebenfalls schwarz und von Lehm und trockenem Laub verunziert. Die Dreckspuren im Gesicht, ließen ihn älter aussehen, gab ihm fast etwas verwegenes.
Mühsam quälten sich die Scheibenwischer durch den pappigen Schnee, der noch immer unvermindert fiel. Sie kamen nur langsam vorran, der Wald zog sich endlos an ihrer linken Seite vorbei. Die Landstrasse wand sich.
Es wäre klüger gewesen in die andere Richtung zu fahren, zurück nach Kockshead, wo sie Fumblemore suchen und um Hilfe bitten könnten, zurück… zu den anderen.
Zumindest hatte die Heizung des Wagens es mittlerweile geschafft, das innere der Kabine etwas aufzuheizen. Garry rieb seine durchgefrorenen Hände vor den Luftdüsen, die Wärme und Geruch nach Benzin und Gummi ausstießen. Vom Spiegel baumelte ein eingetrocknetes Duftbäumchen, schaukelte im Takt.
Sie schwiegen. Garry wagte nicht zu fragen wohin sie fuhren. Malejoy hätte wohl keine Antwort gewusst. Fahren war selbstzweck. Entfernung auszubreiten zwischen ihnen und den anderen. Meter zu legen, die Sicherheit vortäuschten.
Zögerlich stellte Garry das Radio an. Verrauscht drang die Stimme Leonard Cohens aus den Boxen.

When you’ve fallen on the highway
and you’re lying in the rain,
and they ask you how you’re doing
of course you’ll say you can’t complain —

Die Stimme trieb über sie hinweg. Geleitete den Wagen durch die Nacht. Weisse Strassenbegrenzungen blinzelten ihnen mit Katzenaugen zu. Eine jungfräulche Schneedecke vor ihnen spielte mit dem Asphalt Augen zu und würde sie verraten, wenn man ihnen folgte.

If you’re squeezed for information,
that’s when you’ve got to play it dumb:
You just say you’re out there waiting
for the miracle, for the miracle to come.

***

Es war Zlatko der endlich das Schweigen durchbrach, als er einem einsamen Fiat auswich, der ihnen in einer Kurve entgegenkam, die schließlich den Blick auf eine Autobahnauffahrt freigab, die in der Entfernung als Ansammlung gleitender Lichtpunkte zu sehen. Malejoy brachte den Wagen rickend zum Stehen, der noch gut einen Meter weiterglitt ehe er wirklich hielt.
»Bist du okay?« Er knipste das Kabinenlicht an und warf zum ersten Mal einen richtigen Blick auf Garry.
»Kratzer, mein Fuss tut weh und ich bin müde… geht schon.« Er hob seine gefesselten Hände. »Die Dinger nerven.«
Zlatko lächelte müde. Er beugte sich zu Garry herüber und küsste ihn.
Zeit verging und doch auch nicht. Garry ließ es geschehen. Zlatko schmeckte salzig und roch nach Erde und Erschöpfung. Er zitterte unmerklich, die Muskeln in seinen Armen protestierten nach der Anspannung des Lenkens.
»Zlad… ich weiß nicht…« Garry entzog sich dem Jungen sanft. »Was ist hier los? Was ist passiert? Wo warst du damals?«
»Wo war ich? Ich hab eine Stunde auf dich gewartet, Garry!«
»Eine Stunde? Ich war pünktlich um vier da! Und dann hat mich dieser Kerl angegriffen… und uaf dem Boden lag diese Kette von dir… und ich musste abhauen und dieser Wagen… « Die neuerliche Erkenntnis, das er jetzt genau in jenem Auto war, daß ihn gejagdt und beinah überfahren hatte, ließ ihn für eine Sekunde innehalten, »Dieser Wagen hat mich gejagd und dann bin ich im See eingebrochen und Paul hat mich gerettet-«
»Gerettet?« Zlatko verzog das Gesicht. »Ohne Paul hätten die nie gewusst wo wir uns treffen! Ich hatte dir 15 Uhr aufgeschrieben… Aber irgendjemand scheint dir ja einen anderen Zettel zugesteckt zu haben!«
»I-Ich weiß… Ben… Ben hat mir alles erzählt.. das sie Paul erpresst haben… und…« Garry brach ab, als Zlatko begann das Handschuhfachs des Wagens zu durchsuchen und dabei alles mögliche aufs Armaturenbrett knallte. Strassenkarten, eine Minitaschenlampe, Kaugummie, einen Eiskratzer…
»Red weiter ich hör dir zu- Ah das sollte gehen.« Zlatko zoh ein Leatherman-Pockettool aus der Schwärze des Fachs. »Gib mir deine Hände«
Gehorsam streckte der Sechzehnjährige seine Arme nach vorne. Zlaktko schnappte sich die Kette der Handschellen und drückte die Spitze der Stahlzange in eins der Glieder hinein und begann sie zu drehen.
»Was ist mit dir passiert..?«
»Sagen wir so. Als dich der Wagen in den See jagte war ich dir näher als mir lieb war.« Zlatko deutete auf das Rückteil des Wagens, die vom Führerhäuschen abgetrennte Transportkabine. »Fuck!«
»Auaaa!!! Pass doch auf ! Das war mein Arm!«
Zlatko strich behutsam über die rote Strieme die er mit der Zange in Garrys Arm geschrammt hatte, als er abglitt. Er setzte die Zange neuerlich an, diesmal am benachbarten Kettenglied. »Halt eben still. Okay. Der eine Kerl eben… er hat mich im Kino angefangen, als ich grad gehen wollte, schauen wo du bleibst. Eh ich michs verseh war ich weggetreten und wachte erst wieder auf, als er losfährt und dabei flucht wien Bekloppter. Mich hats dabei ziemlich hinund hergeworfen… und irgendwann irgendwann.. hat er den Wagen wieder geöffnet. Seine Nase ziemlich Matsch aus, warst du das?«
»Ich hab ihn versehntlich erwischt, als er mich im Kino- Aber wo— warst du die ganze Zeit? Wo haben sie dich hingebracht..?«
»Irgendein Haus… weit draussen. Ringsrum war nichts. Sie haben mir die Augen zugeklebt mit Packband. Ich weiß nicht genau, ich war die meiste Zeit eingesperrt. Ich hab immer nur die Zwei aus dem Auto gesehen, aber es müssen noch andere dagewesen sein. Ichhab Stimmen gehört.. und ein Fernseher der lief. Sie wollten mich umbringen- HA!«
Ein letztes Drehen der Zange hatte die Kette der Handschellen aufbrechen lassen, triumphierend hielt Zlatko das rausgebrochene Kettenglied hoch. »Da! Besser so?«
Garry streckte und drehte versuchweise die Arme, die durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit angespannt und ungelenk reagierten. Er schaute den anderen an. Realisierte erst jetzt, was dieser eben gesagt hatte.
»Was?«
»Ich hab versagt.« Malejoy lachte freudlos. »Ich bin nutzlos für Mort, ich hab ihn verraten.« Er ergiff eine Hand Garrys und begann mit dessen Fingern zu spielen. »Der einzige Grund warum sie es nicht sofort erledigt haben, ist das er es selbst machen wollte. Bis dahin… war ich nur im Weg.«
»Was… hast du…?«
»Rape… «, Zlatko schluckte, »Fumblemore hat Recht mir nicht zu trauen. Ich wusste das die CD gefaked war.«
Garry zog seine Hand zurück. Malejoy sah ihn an, als erwarte er einen Schlag. Er schien sich innerlich zusammenzuducken.
»Du wusstest es die ganze Zeit? Du hast die ganze Zeit für van Gey….«
»Ich hatte keine Wahl.«
»DIe ganze Schule geht zu Grunde..! Und du hilfst ihnen dabei!«
»Erinnerst du dich an unsere Zugfahrt nach St. Constantine letzten Sommer?«
Garry schüttelte den Kopf. Was hatte das jetzt damit zu tun?
»van Gey… Er hat mich am Bahnhof erwartet. Meine Eltern hatten mich draussen abgesetzt. Sie sagten mir ich solle auf van Gey warten und machen was er mir sagt… Er… Mort hat sie erpresst. Wenn er will, kann er dafür sorgen, daß sie in den Knast müssen. Er hat Beweise von damals versteckt, die sie belasten… «
»Was wollte er?«
»Dich. Er wollte das ich mich mit dir Anfreunde, dich überwache und ihm alles erzähle, was ich von rauskriege. Nur das mir damals Tommi-Boy dazwischen kam… Er war schneller.«
»Er war nicht so ein Kotzbrocken wie du.« stellte Garry fest.
»Nein er war der liebe, langeweilige Freund. van Gey hat mir die Hölle heiss gemacht, warum ich mich so einfach aus dem Feld schubsen lasse. Damals hat Mort sich dann an Tom herangemacht und begann ihn zu bedrohen, damit er ihm die Informationen lieferte…«
»Sie haben ihn… genauso bedroht…«
»Die ganze Zeit. Und dabei hat er ihnen immer nur das nötigste gesagt… er hat das Wohl seiner Familie riskiert, weil er so sehr an dir hing. « Zlatko schnaubte humorlos. »Du scheinst ein Talent dafür zu haben. Jeder riskiert seinen verdammten Hals für dich Poppers. Nicht das du das groß mitbekämst.«
»Ich wusste das Tom mit Mort Kontakt hat. Ich hab seine Briefe gefunden…«
»Tom… , Van Gey und Ben haben mir die verdammte Hölle heiss gemacht, als ich nicht weiterkam bei dir. Und weißt was, ich wollte nicht weiterkommen. Ich hab dich immer noch fester in Toms Arme getrieben…«
Garry dachte an jenen Morgen, als er Zlatko erwischt hatte, der sich heimlich ins Internat zurückstahl. Der ein Bild von ihm bei sich getragen hatte und es wütend wegwarf. Der vielleicht grade von einer heimlichen Besprechung mit van Gey zurückgekehrt war, der ihn ob seiner Erfolglosigkeit bedroht hatte.
»Warst du deswegen immer so ätzend..? Was hatte ich dir den getan?«
Ein Auto kam die Strasse hinunter und tastete mit Lichtfingern durch das Schneetreiben. Beide Jungen hielten für einige Sekunden den Atem an, doch der Wagen fuhr weiter, bis er in der Dunkelheit verschwand.
»Du bist.. du. Du bist Garry Fucking Poppers und du warst unerreichbar für mich. Ich- ich wollte dich beschützen.«
»Ja genau.«
»Fuck ja genau! Glaubst du van Gey hat uns umsonst nebeneinander gehockt? Eine Weile dachten sie immer noch, ich würd dich rumkriegen. Aber als klar wurde, das du mich hasst-«
»Ich hab dich nicht gehasst-«, begann Garry doch der andere Junge ignorierte seinen Einwand.
»Sie gerieten immer mehr unter Druck. Weihnachten kam näher.. und Mort stand kurz vor seiner Entlassung, er wollte endlich Ergebnisse. Gott… wenn sie gewusst hätten, daß ich dich vor dem Wagen zurückgerissen habe.« Zlatko starrte einige Sekunden vor sich hin, ehe er Garry ansah. »Sie hätten mich damals schon umgebracht. Stattdessen setzen Sie Ben auf dich an. Und dann passierte diese ganze Scheisse an Silvester – Ich hätte, einfach weggehen sollen als du auf den Balkon kamst….«
Knacken des abkühlenden Motors war das einzige Geräusch. Garry erschrack, als er realisierte, wie elend Zlatko dreinschaute. Wie wenig von seiner elbstbeherschten und arroganten Fassade noch übrig war.
»Und sie haben… haben mir versprochen, wenn ich ihnen mit der Sache mit Rape helfe, daß sie mich dann in Ruhe lassen. Und meine Eltern. Und das sie dir nichts tun….«
»Was ist mit Paul und Sascha?«
»Davon wusste ich nichts! Ich war bei dir auf dem Balkon… du hast mich gesehen, als wir uns auf dem Sportplatz getroffen haben. Ich schwör dir ich wusste nicht was sie vorhaben…Ich hätte nie… sowas… Ich hab erst später gerafft, zu was Ben fähig ist. Und das er Paul genauso benutzt hat wie mich…«
Gespenstisch langsam, wie ein Zauberwürfel dessen Ebenen rotieren, setzte sich Garrys Leben der vergangenen Monate vor seinem Inneren Auge neu zusammen. Von Anfang an, war er Teil eines Plans gewesen. Mit Druck waren diejenigen, die ihm Nahe waren erpresst und bedroht, manipuliert und gedemütigt worden. Hatten auch für ihn Schmerzen auf sich genommen, von denen er nichts mitbekam, weil er nur seine kleine Welt sah. Unter welchem Druck musste Tom gestanden haben, all die Monate. Was hatten Franics und Sascha ertragen müssen, wie sehr hatte sich Zlatko verstellt, wieviel Angst musste er ausgestanden haben, seit er ihn damals vor dem Auto gerettet hatte.
»Wieso bist du mir gefolgt. An dem Abend damals… mit dem Auto…«
»Ich weiß es nicht.«
»War das ein Auftrag von Gey? Solltest du mich auspionieren?«
»Nein«, Zlatko schaute verletzt, «ich weiß es nicht mehr okay? Vielleicht hatte ich gehofft dich mal alleine zu erwischen. Vielleicht wollte ich auch nur nicht da sein, wenn sie kommen und die schule beschmieren. Vielleicht wollte ich dir einfach irgendwie nahe sein. Aber du hattest ja nix besseres im Sinn, als ein Geschenk für Tommi zu kaufen…«
»Du hast das gesehen?«
»Ja ich hab alles gesehen. Wie du den Teddy gekauft, mit Paul gequatscht hast… ich musste mich verstecken weil van Gey plötzlich da rumlief. Und dann warst du weg, ich dachte du hättest den Bus genommen und hab auf den nächsten gewartet. Aber du warst zu Fuss los… und als ich die Allee hochgegangen bin hab ich dich gesehen, wie du vor mir liefst. Und dann kam dieser Wagen und du bist wie son Idiot darumgesprungen. Ich wusste das es nicht Fagrid war.«
Inzwischen war die Windschutzscheibe beinahe zugeschneit, die Kälte kroch zurück in den Wagen. Zlatko ließ den Motor wieder an.
»Wie bist du hierher gekommen?«
»Ich hab gesehen als van Geys Wagen ankam. Ich hab mich versteckt…«
»Du warst das…? Im Internat vorhin… ich dachte ich hätte jemand gesehen…?«
Malejoy nickte.
»Ich bin dem Wagen gefolgt als ich gesehen habe, daß sie dich wegbringen… Jetzt weiß ich endlich, wofür son Scheiß-Mountainbike gut ist…«
»Fuck…«
»Du sagst es.« der Junge schüttelte den Kopf. »Ich hoffe dieses Arschloch da im Strassengraben krepiert.«
Unwohl fiel Garrys Blick wieder auf den metallenen Baseballschläger mit dem Zlatko einen ihrer Peiniger ausser Gefecht gesetzt hatte. Das stumpfe Geräusch mit dem der Schläger mit dem Schädel des Mannes kollidierte, hallte noch immer in seiner Erinnerung nach. Zlatko schlug das Lenkradrad ein und steuerte den Wagen zurück auf die Strasse.
»Wie bist du ihnen entkommen..?«
Zlatko antwortete nicht.
»Hey… was ist?«
Malejoy stierte hinaus auf die unkenntliche Strasse. Schon waren die Spuren der entgegenkommenden Fahrzeuge kurz davor zu verschwinden. Graue Narben im Weiss.
Sie hielt auf die Autobahnauffahrt zu.
»Es waren drei Männer.« sagte Zlatko leise.
»Was?«
»Morts Leute.. die mich eingesperrt haben. Es waren drei…«
Wieder fiel Garrys Blick auf den Baseballschläger. Er dachte daran, daß nur zwei Männer dem Wagen entstiegen waren, als er am Rastplatz ankam.
»Wie… wie bist du zurück gekommen? Seit wann bist du wieder in Cockwarts?«
»Seit vorhin.« Malejoy drehte kurz den Kopf. Das Licht der der vorbeiziehenden Strassenleuchten verlieh ihm etwas gepenstisch bleiches. »Die Gerüchte über die Gefahren des Anhalter fahrens? Sie sind alle wahr.« Er lächelte wieder und drehte das Radio lauter.

Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah

I did my best, it wasn’t much
I couldn’t feel, so I tried to touch
I’ve told the truth, I didn’t come to fool you
And even though
It all went wrong
I’ll stand before the Lord of Song
With nothing on my tongue but Hallelujah

Wieder legte sich Schweigen über sie, das andauerte bis sie langsam die Auffahrt der Autobahn hinaufkrochen. Kurz bevor er in den Verkehr einbog, warf Zlatko Garry noch einen Seitenblick zu.
»Wo fahren wir hin..?«
»Willst du Tom wieder sehen?«
»Tom…«
»Tommiboy. Dein Kerl? Du erinnerst dich?«
»Wo ist er..? Ist er..?«
Zlatko schaltete und trat aufs Gas. SIe waren auf der Autobahn. Leitplanken führten sie in die Nacht.

***

Eine halbe Stunde später hörten sie zum ersten Mal die Geräusche aus der Transportkabine. Und das Klopfen.

Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah

Garry Poppers – Kapitel 37

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Auch nach der letzten Folge gab es wieder viele positiven Rückmeldungen, Nachfragen wann es weitergeht und generelles Lob. Ansporn genug also weiterzuschreiben, auch wenn mein derzeitiges Arbeitspensum mir zu wenig Zeit dazu lässt. Ich bitte deswegen um Nachsicht, wenn es mit Garry nicht so schnell vorran geht, wie wir es gerne hätten. Einen herzlichen Gruß von dieser Stelle an alle Neu- und Stammleser, die dennoch drängeln und mich daran erinnern daß es hier noch eine Geschichte gibt, die erzählt werden möchte.

Für die immer noch dazukommenden Neueinsteiger und diejenigen, die ihr Gedächnis nach der letzten Folge nochmal auffrischen möchten, gibt es wie immer hier eine aktualisierte Zusammenfassung: “Garry Poppers – The story so far

Wer lieber ganz am Anfang beginnen möchte: Hier gibts die erste Folge.

Und jetzt genug der Einleitung, ich wünsche euch allen wieder viel Spaß bei der neuen Folge. Kommentare sind wie immer sehr willkommen.

Boogie Nights

»Bist du fertig?« Zlatko hielt den Baseballschläger, zum Ausholen bereit.
Garry, der neben der Hintertür des Kastenwagens stand und eine Hand am Türgriff hatte nickte. Er schaute noch einmal am Auto vorbei, welches mit der Rückseite zur Autobahn in einer Panneneinbuchtung geparkt stand.
Garry holt tief Luft und riss die Tür des Wagens auf, als auch schon eine Gestalt herausstolperte und im dreckigen Schneematsch liegen blieb.

Zlatko stand mit erhobenem Schläger über der Gestalt. Er stieß sie mit dem Fuß an.
»Los steh auf!«
Garry war zurückgesprungen und beobachtete den Mann. Den… Jungen. Dessen Hände mit Gaffatape zusammengeschnürt waren, genau wie der Mund, zugeklebt mit einem Streifen des silbernen Faserbandes, das einmal um seinen Kopf reichte.
Der den Kopf hob und Garry ansah.
»Francis!« Garry wagte sich näher. Das Gesicht des Jungen war bleich, ein Rinnsal Rot lief ihm aus dem verkrusteten Haaransatz in die Stirn.
Zögerlich ließ Malejoy den Schläger sinken.
»Scheisse mann.«
Francis schien seine Verletzung kaum zu bemerken. Er sah benommen zwischen Garry und Zlatko hin und her, dann wanderte sein Blick wieder in das Dunkel, das Innere des Kastenwagens. Er reagierte kaum, als Garry ihn vom Klebeband befreite.
»Können… können wir in ein Krankenhaus fahren.« Seine Stimme klang jämmerlich.
Erst jetzt erkannte Garry, dessen Augen sich nur langsam an die Nacht gewöhnten, die schemenhafte zweite Gestalt, als schwarze Masse am Boden des Frachtraums.
Zlatko hatte im Führerhäuschen eine Minitaschenlampe gefunden. Er leuchtete mit dem funzligen Strahl in den Wagen.

Nur mit einem Krankenhauskittel bekleidet, mit dick bandagierten Armen lag Paul auf dem dreckigen Filzausleger des Wagens. Er rührte sich nicht.
»Quadratscheisse.« Zlatko schüttelte wieder nur den Kopf. Er besah sich den leblosen Körper näher.
»Ist er… tot?« Garrys Blick folgte erstarrt dem gelblichen Lichtschein der Stablampe. Er erschrak wie nüchtern seine Frage klang.
»NEIN!« Francis schüttelte energisch den Kopf. »Er ist nicht-! Wir.. wir müssen ihn nur in ein Krankenhaus-«
Garry betete innerlich mal wieder, daß Francis nicht anfangen würde zu heulen. Der fast unterwürfig um Hilfe bittende Blick war zuviel.
»Was ist passiert?« fragte Garry.
»Was? Ich .. weiß nicht.. McDoneitall ist nur kurz weg gewesen und ich hatte mir einen heissen Kakao aus dem Automat im Wartesaal geholt.. und als ich zurück in komme, sehe ich das jemand bei Paul im Zimmer ist und ich renne rein… und das nächste was ich weiß ist das ich in diesem Auto wach werde. Und neben mir ist.. Paul…. Sie haben ihn einfach da reingeworfen… Wie ein Stück Vieh!«
Garrys Blick glitt vom zitternden Francis zu Zlatko hinüber, der grade Pauls Hals betastete. Einen Finger anfeuchtete und vor den Mund des Jungen hielt.
»Er hat recht. Er lebt. Noch.«
Garry trat näher. Er nahm Zlatko die Taschenlampe ab und hockte sich auf den Rand des Laderaums. Er leuchtete ins Innere. Mehrere Klappkisten standen gestapelt in der hinteren Ecke. Farbeimer in ihnen. Drahtseil, Werkzeuge, Pinsel, Lösemittel. Äther. Der Geruch alleine erinnerte ihn an jenen Tag im Kino, als ihn einer der Männer überfallen hatte. Eine olivfarbene Metallkiste stand mit einem Vorhängeschloss gesichert an der Stirnseite. Graue Filzdecken auf ihr gestapelt. Leere Cola- und Bierdosen kullerten umher. Aus einem blauen Müllsack quollen Kleidungsstücke. Schwarze Trainingsanzüge und Skimasken. Damals, als Tom angegriffen wurde…
Ein Stöhnen Pauls riß Garry in die Wirklichkeit zurück. Die Augen des Jungen waren geöffnet, aber so verdreht, daß kaum Pupillen zu erkennen waren. Die Strahlen der Taschenlampe fingen sich in seinen blonden Bartstoppeln, ließen sie aufleuchten wie die Enden einer Glasfaserlampe.
Für einen Moment dachte Garry an den Silvesterabend, als Paul sich ihm völlig zugedrogt genähert hatte. Und an Pauls Gesicht, daß über ihm schwebte, als er völlig unterkühlt aus dem eiskalten Wasser des Sees auftauchte. Paul der ihn verraten und gerettet hatte.
Für eine Sekunde legte Garry eine Hand auf das Gesicht des älteren Jungen und strich mit dem Daumen über die die Wangen, die Barthaare, die einen Kontrast zu seinen eher weichen Gesichtszügen bildeten.
»Was ist jetzt? Wollen wir hier Wurzeln schlagen?« Zlatko schob sich neben Garry. »Wir müssen weiter, wenn wir vor unseren Freunden bei deinem Tommiboy sein wollen…«
»Wir können Paul nicht einfach hierlassen-«
»Was willst du tun? Jetzt zurückfahren? Wir können froh, sein, wenn wir ihnen nicht genau in die Arme laufen!«
»Steigt in den Wagen. Mir fällt schon was ein.« Malejoy sah von Francis zu Garry. Er nahm die Taschenlampe und drückte sie Francis in die Hand. »Pack ihn in die Decken ein, kümmer dich um ihn.« Er holte eine Wasserflasche unter dem Sitz des Führerhauses hervor.
»Gib ihm zu trinken und…«, er zuckte die Achseln, »sei einfach da, okay.«
Der ältere Junge nickte nur. Er krabbelte in den Kastenwagen zurück und begann aus den grauen Decken ein notdürftiges Krankenlager für Paul zu machen, derweil er die Taschenlampe zwischen den zusammengebissenen Zähnen festhielt. Er zuckte leicht zusammen, als Garry die Tür hinter ihm schloss.

***

Sie fuhren bereits seit einer halben Stunde wieder durch die Nacht. Garry hatte die Schiebeluke zum Frachtraum geöffnet und konnte dort, wo vorher nur Dunkelheit war jetzt das schwache Licht der Taschenlampe sehen, daß Francis und Paul als blasse Silhoutten zu erkennen gab.
Er schloß die Luke wieder und wandte sich Zlatko zu.
»Wann sollen wir ihm sagen, daß wir nicht ins Krankenhaus fahren?«
»Du hast entschieden Garry.« Malejoy wandte nur kurz seinen Blick von der Autobahn, auf der zu dieser Zeit nur wenige Fahrzeuge unterwegs waren. Orangweißes Licht fiel aus Lichtarmen und ließ die feine Schneeschicht auf dem Asphalt irisieren. Ein Hinweisschild kündigte an, daß es noch 80km bis Frankfurt waren.
»Was wenn er stirbt, weil wir…?«
»Was wenn er stirbt, wenn wir ihn in ein Krankenhaus bringen?« Zlatkos Stimme war leise, aber sehr bestimmt. »Was wenn er es trotzdem schafft? Was wenn wir ihn in ein Krankenhaus bringen und dafür sind van Gey und Mort vor uns bei Tom? Du hast dich entschieden, Poppers. Es ist nicht deine Schuld, daß die beiden da hinten drinhocken.«
Zlatko hatte Recht, aber das half wenig um das grimme Gefühl in Garrys Magen zu besänftigen.
Weiter und weiter schaukelte der Wagen die Autobahn entlang, trieben gelbliche illuminierte Schneeinsekten gegen die Scheibe, fuhren kleine graue Gestalten in austauschbaren PKWs durch die Nacht und an ihnen vorbei.
Nach ein paar Minuten begann Garry erneut das geräumige Handschuhfach zu durchsuchen und die Stauräume hinter den Sitzen.
»Was machst du?… Hey.. Sachte, hau mir nicht gegen die Kupplung!«
»Guck auf die Straße…«, murmelte Garry als er sich halb zwischen die Fahrersitze zwängte um dahinter zu schauen. Er stützte sich dabei mit einer Hand halb auf Zlatkos Oberschenkel ab.
»Sheesh, entspann dich. Und nimm deine Hand da… weg.« Zlatko versuchte sich aufs Fahren zu konzentrieren. »Oder schieb sie zumindest etwas mehr nach rechts…«

***

»Okay probiers nochmal, ich hab hinten drei Äste drunter geklemmt.«
Garry zog die Tür zu und wischte sich die klammen, dreckigen Hände an der Hose ab.
Diesmal griffen die Reifen endlich, als Zlatko den Rückwärtsgang einlegte und aus dem Weg zurück auf die Landstrasse holperte
»Du warst dir sicher…«
»Es ist hier! Es muß der nächste Weg sein, ich weiß es…«
»Das hast du bei den letzten beiden auch schon gesagt!« Garry versuchte seine Aggressivität zu unterdrücken. Er wußte das Zlatko die Wahrheit sagte. Dennoch zerrte die Fahrt langsam an seinen Nerven. Seit sie vor einer halben Stunde von der Autobahn runter fuhren, suchte Zlaktko alle Ausfahrten einer kleinen Landstrasse ab, die sie immer tiefer in ein Waldstück führte. Der Boden war matschig und schon zweimal drohten sie stecken zu bleiben und konnten die Räder des Wagens nur knapp aus der Mischung aus Schnee und Dreck befreien.
»Verdammt es war dunkel, als ich abgehauen bin. Ich weiß das es an dieser Strasse war, ich bin sie bis zum Ende gelaufen, ehe mich der der eine Typ mitgenommen hat, der auf die Autobahn fuhr. « Zlatko klang ebenfalls entnervt und müde. Der ungewohnte Stress, die Mühe den Kastenwagen zu steuern, machten sich bemerkbar. »Aber wenn du glaubst, du kannst es besser bitte.. dann fahr du weiter.«
»Sorry. War nicht so gemeint…«
»Vergiss es. Da… der Weg muss es sein.«
»Bist du sicher? Der sieht genauso aus wie die anderen…«
»Ach was? Was meinst du warum ich mich dreimal vertan habe? Doch da ist es… Es muss dieser Weg sein… « Mit einem ekligen knirschendem Gruß vom Getriebe, schaltete Malejoy einen Gang herunter und bog in den Waldweg ein. Die Bäume standen hier etwas weniger dicht. Es hatte aufgehört zu schneien und der Nachthimmel lag milchig und wolkenzerpflückt über den Wipfeln. Nach einigen Minuten, erkannte Garry in der Entfernung einen schwarzen Umriss zwischen den kahlen Bäumen. Ein Haus. Zlatko schaltete die Scheinwerfer aus und fuhr noch langsamer. Schließlich nutzte er einen Forstpfad um den Wagen zu drehen und zum Stehen zu bringen.
Er tastete nach dem Schalter der Innenraumbeleuchtung und schaltete sie aus.
Einige Minuten hockten er und Garry schweigend nebeneinander, während sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten und aus dem schwammigen Umriss des Hauses immer mehr Details hervortraten. Fenster. eine offenstehende Tür, eine Garagenauffahrt, gedämpfter Lichtschein.
Zlatko legte eine Hand auf den Türgriff. Er sah Garry an, in der Dunkelheit waren seine Augen nur winzige reflektierende Punkte in einem schwarzen Umriss.
»Bist du dir sicher, daß wir da rein wollen…?«
»Wer spricht von wollen.«
Zlatko lachte humorlos. »Na dann los.« Er schnappte sich den Baseballschläger und stieg aus. Garry raffte ein paar Kleinigkeiten zusammen und umfasste das Leatherman-Tool mit der Faust. Die kurze, dicke Klinge des Allroundgeräts, erschien ihm gradezu armseelig winzig.
»Hast du das Handy?«
Garry nickte. Obwohl sie noch über 50m vom Haus entfernt waren, flüsterten sie instinktiv.
»Ich hab Moany und Fagrid eine SMS geschickt wo wir sind. Und ich hab auf Bernds AB gesprochen, daß er herkommen soll und Hilfe mitbringen…«
»Ich hoffe verdammt, daß die alte Trutsche ihre Mobilbox abhört…«
Zlatko ging vorran, Garry folgte ihm stolpernd.

***

Stille.Die beiden Jungen standen geduckt an der Seitenfront des Gebäudes, spähten durch die dreckigen Fenster, lauschten, warteten. Doch es war nichts zu hören, keine Stimmen, keine Geräusche, nichts. Vorsichtig wagte sich Garry vorran, diesmal war es Zlatko der zurückblieb.
»Hey was ist.. komm.«
Malejoy stand zögernlich neben dem Panoramafenster auf der Terrasse, er blinzelte in den halbdunklen Innenraum, der nur durch eine Glasscheibe von ihnen getrennt war.
»Mann ich weiß echt nicht ob das eine gute Idee ist.«
»Du hast gesagt Tom ist da drin!«
»Ja.. ich.. zumindest glaube ich, daß er es ist…«
»Du GLAUBST ES?«
Zlatko kam auf Garry zu.
»Sei leise verdammt«, zischte er. »Ja ich glaube es…«
»Ich dachte du wärst dir sicher! Du hast gesagt- Verdammt… Ich hab mich auf dich verlassen! «
»Ich bin gestern Nacht hier abgehauen, ich war ewig in diesem Scheisskeller eingesperrt, ich hab das erste Mal in meinem Leben einen verdammten Lastwagen gefahren, ich hab seit zwei Tagen nichts gegessen und bin fertig! Entschuldige, wenn ich nicht deinen Ansprüchen genüge!«
Im Schwachen Schein des Hauses fiel Garry abermals auf, wie bleich und zerschunden Zlatko aussah. Seine Augen zuckten unruhig hin und her, wanderten immer wieder die Strasse hinauf, hielten Ausschau. Malejoy hatte Angst. Er sah elend aus. Zlatko riskierte eine Menge, um Tom zu helfen und wahrscheinlich wollte er an jedem Ort lieber sein, als wieder hier. jenem Haus aus dem er grade erst entkommen war.
»Sorry mann…« Garry zog den anderen Jungen an sich und hielt ihn für eine Sekunde fest. Zögerlich legte Zlatko seine Arme um Garry. Es war das erste Mal seit jener Silvesternacht, daß sie einander wirklich nahe waren. Diesesmal ohne jenes agressive Begehren, daß ihr Verhältnis so oft überschattet hatte. Malejoys Körper schien so mager und zerbrechlich, daß Garry erschrak. Er hielt den Jungen und strich für Sekunden über dessen Nacken, barg Zlatkos Kopf an seiner Brust. Hielt ihn einfach.
Es war nur eine Minute, die sie sich nahmen, doch es kam ihm sehr viel länger vor. Als Zlatko sich schließlich von ihm löste und ihn ansah, erkannte Garry etwas in dessen Blick, das ihn schaudern ließ. Etwas das er von Tom kannte. Eine tiefe Zuneigung, die ihm deutlich machte, daß er mehr Macht über den Jungen hatte, als dieser über ihn.
»Immer dann wenn man dir am liebsten eine reinhauen will«, sagte Zlatko im Versuch seine Selbstsicherheit wiederzugewinnen, »machst du sone Scheisse wie jetzt. Du kämpfst einfach nicht fair.«
»Ich kämpfe nicht gegen dich.« Garry fasste ihn am Arm. »Ich bin manchmal einfach ein Trottel. Komm… wir gehen rein.«
Die Jungen griffen ihre improvisierten Waffen und schoben sich auf die offenstehende Eingangstür zu.

***

»Fuck….« Garry starrte auf den leblosen Körper eines gedrungenen Mannes, der in einer kleinen schwarzbraunen Blutlache im Zwischenflur des Hauses lag. Seine Schläfe zeichnete ein klaffendes Loch, dort wo sein Kopf mit einer marmornen Hutablage unter dem protzigen Silbergefassten Spiegel kollidiert war, dessen Glas jetzt in schillerndem Reigen um ihn verteilt lag. Garrys Blick wanderte zu Malejoy in dessen Gesicht Schuldbewusstsein, Ekel und Furcht ossizilierten. »Du hast…«
»Er kam plötzlich die Treppe herunter, als ich raus wollte. Ich dachte sie wären alle weggefahren… und er hat mich am Arm gepackt…und ich hab einfach zugetreten.« Zlatko ging zögernd um die Leiche des Mannes herum, als rechnete er damit daß dieser nach ihm greifen könnte. »Ich konnte nicht ahnen, das er so dumm stürzt…«
»Du hast ihn umgebracht.« Garry hatte noch nie einen toten Menschen gesehen. Draussen hu-hute eine Eule und ließ ihn erschaudern.
»Er hats nicht besser verdient. Das war der, der dich in den See getrieben hat. Der mich… eine miese Sau.« Zlaktko schob seine Jacke und sein Shirt soweit hoch, daß sie seinen mageren Bauch preisgaben. An seiner Hüfte verunzierte eine hässliche Brandwunde die weisse Haut. »Der muss dir nicht leid tun. Komm jetzt. Lass uns Tom holen und hier abhauen. Dieses Haus ist creepy…«
Der Sechzehnjährige folgte dem anderen Jungen, vorbei am edel eingerichteten Wohnzimmer, dessen zweifellos teure Ausstattung den angestaubten Charme der 80er verströmte. Kompositionen aus Leder, Chrom und schwarzem Holz. Spartanische Designerlampen und minimalistische Kunstdrucke in schmallippigen Bilderrahmen. Zlaktko führte ihn durch die riesige Küche in der sich Mikrowellenmenue-Packungen und Pizzakartons stapelten, in einen kleineren Flur von dem eine weitere mit breiten Stahlsperren gesicherte Tür abging, hinter der eine Treppe hinunterführte. Sie stand offen.
»Da runter?«
Malejoy nickte. Er ging vorran, in den mit Kellerleuchten erhellten Gang, der sie vorbei an einen riesigen Heizkessel und einem Vorratslager führte, ehe er an einer weiteren, roten Holztür endete, die den Eindruck machte nachträglich eingebaut worden zu sein. Sie stand ebenfalls offen und gab den Blick auf einen spärlich beleuchteten weiteren Gang frei, der sich nach links und rechts erstreckte. Zlatko ging zielstrebig nach links.
»Was ist in der Richtung? « Garry deutete nach rechts, wo sich in der düsteren Entfernung ein helles Quadrat ausmachen ließ.
»Meine Zelle.« sagte Zlatko knapp als sie das Ende dieses Ganges erreichten, der vor zwei massiven Stahltüren endete, die rechts und links der Wand abgingen. »Dort…», der Junge deutete auf die linke der beiden und zog eine Blende zur Seite, die in das Metall eingelassen war.
Garry spähte durch die vergitterte Öffnung und erkannte kaum etwas. Ein dunkler Schatten kauerte auf einer Matratze in der hintersten Ecke. Unmöglich zu sagen wer da lag.
»Wie sollen wir die aufbekommen?« Er rüttelte am Türgriff, doch die massive Konstruktion bewegte sich keinen Zentimeter.
Zlatko verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Shit… der Scheissschlüssel. Ich wollte ihn holen, als mich dieses Arschloch da oben erwischt hat und bin dann weg. Er muß ihn noch bei sich haben. Ich… ich geh ihn holen«
»Soll ich mitkommen?«
Malejoy schüttelte nur den Kopf. Er verschwand ohne ein weiteres Wort.
Garry nutzt die Zwischenzeit neuerlich in die Zelle zu schauen. »Tom..! Tom wach auf!«
Nur langsam kam Bewegung in den undeutlichen Schatten auf der anderen Seite der Tür. Eine zerlumpte Gestalt richtete sich schwankend auf, näherte sich langsam der Sichtluke. Für eine Sekunde fröstelte Garry, erinnerte ihn die Gestalt an ein wildes Tier, ein Monster das sich aus dem Dunkeln anpirschte. Er unterdrückte den Impuls sich zurückzuziehen, als schmutzige Finger sich um die Gitterstäbe legten und ein Gesicht aus wunden Augen nach draußen starrte.
Schweigen fror die Sekunden ein. Schweigen, daß erst zerbarst als die Lumpengestalt ein Wort hervorbrachte.
»Du..?«
Furcht und Angst schmolzen, als Garry hinter Schmutzschlieren, Dreck und getrocknetem Blut, daß an Stirn und Schläfen klebte, ein sehr vertrautes Gesicht erkannte. Tom.
»Ich hol dich raus hier« , war alles was Garry hervorbrachte. Er versuchte durch die schmale Gitterluke die Hand seines Freundes zu erreichen.
»Wie- Wieso… ist Er hier…?«
Garry brauchte eine Sekunde bis er verstand. Er sah von Tom zum Gang in dem Zlatko verschwunden war, um die Schlüssel zu holen.
»Er… hat mich hergeführt.«
»Du traust ihm?« krächzte Tom. »Wieso…?«

***

Sekunden krochen dahin. Garry hielt die Hand seines Freundes durch die winzige Luke. Wartete das Zlatko endlich zurückkäme. Er mochte keine Minute weg sein, doch dem Jungen erschien es länger. Er versuchte den panischen Gedanken zu verdrängen, daß Zlatko ihn bewusst hier hergelockt hatte, das er letztlich doch für Goldenrohr arbeitet und ihn hier in eine Falle manövrierte. Was, wenn sich Komplizen im Haus versteckten, was, wenn Morts Helfer schon oben standen und auf ihn warteten.
»Schnell mach auf!«
Garry zuckte zusammen, als Zlatko zurück in den Gang stürmte und ihm den Schlüssel zuwarf, den er prompt fallen ließ. Der andere Junge kam auf ihn zu.
»Mach schon! Da kommt ein Auto, wir müssen abhauen!«
»Nicht ohne Tom!«
Garry fuhrwerkte mit zittrigem Händen herum, ohne den richtigen Schlüssel zu finden. Schließlich nahm ihm Malejoy das Bund ab und öffnete mit einem entschlossenen Ruck die Tür. Tom stolperte ihnen entgegen. Er und Zlatko wechselten einen langen Blick. Taxierten sich. Schließlich streckte ihm Zlatko die Hand entgegen.
»Komm, wir müssen weg hier….«
Tom ignorierte die Hand, er nickte dem anderen nur kurz zu, dann fiel sein Blick auf Garry.
»Es tut mir leid…«
Garry legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter.
»Später… jetzt komm…«

Als sie oben aus der Tür traten, wurden sie vom Scheinwerferlicht eines herannahenden Wagens geblendet.

Eine Gestalt erhob sich neben der Tür und riß Garry und Tom zu Boden.

Garry Poppers – Kapitel 38 / 39

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Hier nach einigen Wochen des Wartens, in denen mich wieder erfreulich viele Anfragen, Zuspruch und Lob erreichten, eine neue Doppelfolge aus der Welt von Garry Poppers.

Wie immer gilt, wer wissen möchte wie die Story anfing: Hier ist das erste Kapitel. Und wer sein Gedächnis auffrischen möchte, was bisher geschah: Hier steht die aktualisierte Fassung von “Garry Poppers – The Story So Far”

Dank geht wie immer an die treuen Leser, die den Weg mitgehen, auch wenn die Geschichte bisweilen dunklere Töne anschlägt. Eure Nachfragen und Kommentare tragen dazu bei, daß ich trotz knappen Zeitkontingent doch immer wieder nach St. Constantine zurückfinde, um zu schauen, wie es Garry und den anderen ergangen ist.

Und jetzt, viel Spaß bei der neuen Folge.

+++

One Night Standing

Es war Tom der Garry davon abhielt Francis das Messer in die Brust zu rammen.
»Nicht!« Die Jungen lagen hinter der Hecke die den Vorgarten des Hauses umfasste. Über ihnen strichen Scheinwerferstrahlen über den Rauhputz der Fassade.
Garry realisierte erst jetzt, das Francis sie nur vor Entdeckung schützen wollte, als er sie zu Boden warf. Er und Tom sahen sich lange an, unausgesprochen Worte hingen zwischen ihnen. Zlatko schaltete als erster und begann sich durch Dreck und Schneematsch am Haus entlang in Deckung zu schieben.
»Kommt schon! Lasst uns abhauen!« Er kroch um die Ecke des Hauses, bis er an der Seite angelangt war, die dem Zufahrtsweg abgewandt lag, stand auf und half den anderen hoch,die ihm vorsichtig folgten. Gemeinsam schlichen die vier um die Rückseite des Gebäudes herum, als sie zuschlagende Türen und Stimmen hörten, die durch die nächtliche Stille zu ihnen drangen.
»Los durch die Bäume…«
Zlatko ging vorran, hastete im Halbdunkel von Baum zu Baum, zurück in Richtung ihres Lastwagens, der im Forstweg verborgen stand. Wortfetzen und Stimmen reflektierten durch die Nacht. Jemand fluchte. Ein Taschenlampenstrahl leuchtete in das Waldstück, das dem Haus gegenüber lag. Garry und Zlatko hatten beide hinter demselben Baum Deckung bezogen, Malejoy zitterte wieder und Garry unterdrückte den Impuls seine Hand zu nehmen und zu drücken. Tom und Francis standen nur wenige Meter von ihnen entfernt, Toms bleiches Gesicht leuchtete wächsern im bläulichen Licht der Nacht.
Die Männer, es waren fünf, wandten sich wieder ihrem Auto zu. Einer war im Haus verschwunden und kam fluchend herausgestolpert. Zlatko und Garry nutzen die kurze Ablenkung um sich tiefer in den Schatten des Waldes zurückzuziehen, bedeuteten den beiden anderen ihnen zu folgen. Es galt eine kleine Anhöhe zu erklimmen und Garry zog Tom zu sich hoch.
»Wir müssen dort rüber… der Wagen…«
»Pschht!« Tom hob eine Hand und deutete auf den Wagen, aus dem jetzt eine große Gestalt ausstieg.
»Dort… das ist..«
Doch ehe Tom den Satz beenden konnte, hatte Garry den Mann ebenfalls erkannt, der einen der anderen wegstieß und zu Boden schleuderte. Die übrigen vier umringten ihn schnell und schon bald war der Aufruhr beendet. Sie schlugen zu viert auf den großen Mann ein, bis dieser seine Gegenwehr aufgab.
»Fagrid!«
Zlatko zerrte an Garrys Arm.
»Los uns abhauen, solange sie abgelenkt sind!«
»Sie haben Fagrid…« Garry sah seine Freunde entsetzt an. »Wir müssen…«
»Was willst du machen? Du hast gesehen was sie mit ihm angestellt haben! Lass uns abhauen und Hilfe holen!«
»Wir können ihn doch nicht-«
»Zlatko hat Recht.« Tom umfasste Garrys Nacken. Er wechselte einen kurzen Blick mit Malejoy, schaute dann wieder seinen Freund an. »Ich war dort. Sie haben Waffen, wir haben keine Chance…«
»Aber…«
»Paul muss in ein Krankenhaus.« sagte Francis leise. Es lag kein Vorwurf in seinen Worten. Er schaute von Tom zu Garry, der Begriff das er überstimmt war.Garry spürte wie seine Wangen brannten. Er hatte Paul schon völlig vergessen, der schwerverletzt in der Transportkabine ihres Wagens lag.
Er nickte nur und stolperte durch die Dunkelheit vorran. Die anderen folgten ihm.

***

Es war Tom, der als erstes das Blut bemerkte.
»Was zum-«
Er hob seine Hand, mit der er sich an der hinteren Einstiegsluke hochziehen wollte. Schwarze Flüssigkeit reflektiert im Mondschein an ihr. Zlatko nahm Francis die Taschenlampe ab und leuchtete in den Transportraum. Und jetzt konnten Sie es alle sehen. Zusammengekrümmt auf einem Haufen grauer Armeedecken lag Pauls Körper, seine Augen waren wie in erstarrter Überraschung aufgerissen. Wie eine bizarre Halskette, zog sich ein Schnitt über seine Kehle, von eine Seite zur anderen. Blut tropfte aus dem Kastenwagen in den Schnee.
Francis schrie auf und wurde von Zlatko zum Verstummen gebracht, der ihm eine Hand auf den Mund presste.
Tom wurde durch den Schrei zur Besinnung gebracht. Garry schlug die Tür des Wagens zu und rannte, dicht gefolgt von Tom zur Fahrerkabine. Er riß sie auf und erkannte zu spät, daß sie nicht leer war. Ein Tritt mit Winterstiefeln vor die Brust ließ ihn und Tom in eine Pfütze segeln.
Langsam, wie in einem Alptraum erkannte Garry einen der Männer vom Rastplatz wieder, der sich aus dem Wagen erhob. Er hielt ein Messer in der Hand, deutete auf Garry und Tom.
»Leander hatte Recht. Ihr seit wirklich so dumm und kommt wieder her.« Der Mann wollte grade einen weiteren Schritt machen, als zwei Hände unter dem Auto hervorschnellten und ihm die Beine wegzogen.
Ohne nachzudenken, reagierte Garry. Er sprang aus der Bewegung und erwischte die Hand, die das Messer hielt mit seinen Stiefeln. Der Mann schrie auf, als Garry sich herumrollte und das Messer wegstieß. Er musste ausweichen, als er Tom sah, der ebenfalls Schwung holt und dem Mann ins Gesicht trat. Aus dem Augenwinkel erkannte Garry Zlatko, wie er sich unter dem Wagen hervorschob und weiter die Beine von Morts Handlanger festhielt. Zlatko kassierte einen Tritt an die Schläfe, ließ aber nicht los.
Aus der Entfernung waren wieder Stimmen zu hören, die lauter wurden. Sie kamen. Taschenlampenfinger tasteten in ihre Richtung.
Garry und Tom drückten den breitschultrigen Kerl zu Boden.
»Zlat… Fahr los…«
»Wenn wir ihn loslassen dann…«
»Starte den verdammten Wagen, wir haben ihn!«
Leicht schwankend kämpfte sich Zlatko auf die Beine und erklomm die Fahrerkabine, derweil sich Garry und Tom mühten den wild um sich schlagenden Mann am Boden zu halten. Er erwischte Tom mit einem Faustschlag am Ohr, das dieser schmerzgepeinigt zur Seite rollte. Garry warf sich mit vollem Gewicht auf den Kerl, wie ein zu allem entschlossener Bullenreiter. Er schlug ihm mit einer Hand ins Gesicht, klammerte sich mit der anderen um den muskulösen Hals. Dennoch gelang es dem Mann sich aufzurichten und Garry mit hochzuziehen.
Die Stimmen kamen noch näher, schon konnte Garry einzelne Gesichter in der Entfernung ausmachen. Leander van Gey war dabei. Er hielt etwas in der Hand, das verdammt nach einer Pistole aussah.
Garry hielt nun beide Arme um den Hals des Kerls geschlungen und versuchte ihm die Luft abzudrücken. Dröhnend erwachte hinter ihnen der Motor des Kastenwagens zum Leben.
»Steigt ein! Schnell!» Zlatko glitt von der Bremse ab und ließ den Wagen einen unbeabsichtigten Sprung nach vorne machen, dem Tom nur knapp ausweichen konnte. Malejoy packte die Hand des Jungen und zog ihn in die Kabine.
»Garry komm!«
Garry hing noch immer wie eine Puppe, wie eine bizarre Stola an dem wütenden Mann, der nach Leibeskräften versuchte den lästigen Jungen abzuwerfen und dessen Klammergriff um seinen Hals zu lösen. Garry schloss die Augen, verschränkt die Arme und drückte nur noch fester zu, spürte wie der Adamsapfel sich gegen seine Handgelenke drückte. Wie der Mann ein einzelnes pfeifendes Geräusch ausstieß… und in die Knie ging.
Zögerlich öffnete der Junge die Augen und erkannte Francis, der mit blutigen Händen das Messer umklammerte.
Neben ihnen knirschte Schneematsch und Kies, als der Lastwagen bremste.
»Steigt endlich ein verdammt!«
Garry stieß sich vom leblosen Körper ab, unter dem sich schon eine schwarze Lache bildete. Er krabbelt rückwärts in die Kabine des Lastwagens und sah noch wie Francis über dem Mann kniete und ihm das Messer wieder und wieder in den Rücken rammte.
»Francis!«
Der Junge reagierte nicht. Ihre Verfolger waren keine dreissig Meter mehr entfernt. Francis schrie, ein ein hoher, schriller und gepeinigter Laut, als er die Klinge weiter in den Leichnam des Mannes stieß.
Garry sprang nocheinmal aus dem Lastwagen. Er packte den anderen Jungen und riß ihn hoch. Zerrte ihn mit sich.
Neben ihnen zerbarst ein Baumstamm. Kurz zuvor ein Surren, das sein Ohr erwärmte.
Garry brauchte bis er realisierte, daß man auf sie schoss. Sowas konnte nicht passieren, dachte er unzusammenhängend. Schüsse waren etwas, daß es in Filmen gab, im Fernsehen aber nicht-
»GARRY!!!« Toms Schrei brach die Erstarrung und Garry stolperte gegen die Tür des Kastenwagens, schob den willenlosen Francis Tom entgegen und zog sich selbst an Bord. Zlatko hatte das Gaspedal durchgetreten, noch ehe die Tür geschlossen war. Ein weiterer Schuss ließ ihren Rückspiegel explodieren, Kugeln schlugen in die Transportkabine ein, in der Pauls lebloser Körper lag.
»WEG! VERDAMMT!» Zlatko stieß Garry, der die Gangschaltung mit seinem Bein blockierte unsanft zur Seite. Der Wagen schwankte bedenklich, als er mit viel zu hoher Geschwindigkeit den matschigen Zufahrtsweg entlangschlidderte.

***

Wie ein tollwütiges Tier brach der Mercedes hinter ihnen aus dem Wald. Garry, der zwischen Zlatko und Tom eingepfercht saß, sah nur das Licht der Scheinwerfer, das hinter ihnen die Allee erleuchtete, die sie hinabrasten, so schnell es ihr Wagen erlaubte. Francis, der das Fenster heruntergekurbelt hatte um nach hinten schauen zu können, ließ sich wieder neben Tom fallen.
»Sie sind direkt hinter uns! Schneller!«
»Was glaubst du was ich mache, du Wichser!« Malejoy standen Schweissperlen auf der Stirn und seine dünnen, drahtigen Arme hatten sichtlich Mühe das Lenkrad im Griff zu behalten, das mit jeder Unebenheit des brüchigen Asphalts ausschlug.
»Garry verdammt hilf mir! Halt mit fest!» Zlatko wagte nur einen winzigen Seitenblick auf Garry. In seinen Augen lag nackte Angst,die er nur mässig durch Wut kaschieren konnte. Garry umfasste mit seiner linken Hand das Lenkrad, half es zu stabilsieren.
Francis hing schon wieder halb zum Fenster raus. Er hatte einige leere Bierflaschen entdeckt, die er jetzt nach dem Mercedes warf, welcher immer näher kam.
Die erste Flasche zerschellte auf der Kühlerhaube und ließ den Wagen nach links ausweichen. In schneller Folge warf Francis noch zwei Flaschen, die diesmal ihr Ziel jedoch vefehlten.
»Tom… sind da.. sind da Flaschen.. Irgendwas?«
Tom tastete blind unter dem Sitz herum, versuchte eine verbliebene Flasche zu packen, die durch ihre schlingernde Fahrt dort hin und her rollte.
Der Mercedes holte weiter auf. Setzte an sie zu überholen.
Endlich erwischte Tom die Flasche und drückte sie Francis in die Hand. Garry und Zlatko bemühten sich ihren Wagen auf Spur zu halten. Seit den Schüssen reagierte er langsamer und Garry betet nur, daß der Motor durchhalten mochte. Ein lautes Klirren, gefolgt von Bremsen ließ ihn aufsehen. Im verbliebenen Rückspiegel auf Zlatkos Seite erkannte er den Mercedes der schräg zur Strasse stand, die Windschutzscheibe ein Spinnennetz. Einer der Männer sprang aus dem Wagen und entleerte seine Waffe blind in ihre Richtung.
»Wir haben sie erwischt!« Tom lachte auf, als sie weiter die Allee entlangschossen, die schon bald in eine Aufahrt zur Schnellstrasse mündete. Tom sah von Garry zu Zlatko, er zog Garry zu sich heran und verpasste ihm einen Kuss. »Wir haben sie erwischt!« Sie rauschten weiter der Autobahn entgegen.Garry lächelt und selbst Zlakto schaffte es etwas sich zu entspannen.
»Guter Wurf, Francis. Guter Wurf.«
Tom umfasste Francis sanft an der Schulter und zog ihn in den Wagen zurück.
»Du hast sie erwischt, Mann. Du hast sie…«
Erst jetzt erkannte Tom das dort wo Francis linke Schläfe gewesen war, ein blutige Wunde klaffte. Der Junge sackte regungslos in sich zusammen und wäre mit dem Kopf aufs Amaturenbrett geschlagen, wenn Tom ihn nicht aufgefangen hätte.

+++

Kapitel 39:

Drei Fragezeichen

»Und?«
Tom starrte Garry aus nassem Gesicht an. Ein Berg zerknüllter Papierhandtücher füllte den Mülleimer der Raststätte bis zum Rand. Dreck und Blut waren fast verschwunden und liessen Toms Gesicht im kalten Licht der Neonbeleuchtung nackt und wund aussehen.
»Okay?«
»Okay.« Garry trocknete sich die eigenen Haare notdürftig mit einem Heissluftgebläse. Er besah sich im Spiegel. Einer Alufläche die grob an die Wand gedübelt war und einen je nachdem wie man stand, wie in einem Spiegelkabinett verzerrte. Seine zu langen braunen Haare waren wieder sauber, rochen nach billiger Flüssigseife mit Apfelaroma, die Strähnen verdeckten die ärgsten Schrammen an der Stirn. Garry putzte sich die Nase in ein Papierhandtuch. schneuzte einen klumpen verkrusteten Blutes aus. Andenken an Benjamins Schläge und Tritte.
Er sah zu Tom herüber. Er wusste das er irgendetwas fühlen sollte, irgendeine große Emotion doch im Moment fühlte er sich wie mit Novokain vollgepumpt. Er fragte sich ob die Taubheit die er spürte jemals wieder nachlassen würde.
Sie hatten es mit ihrem letzten Benzin bis hier an diese abgewrackte Raststätte geschafft. Sie waren schweigend gefahren, hatten schweigend und wie in Trance Francis leblosen Körper genommen und ihn neben Pauls Leiche in die Transportkabine des Kastenwagens gelegt. Sie mit Filzdecken umwickelt und die von Einschusslöchern verbeulte Tür wieder geschlossen.
Wenn Garry die Augen schloss sah er noch immer Francis Gesicht, wie er auf den Mann eingestach und den überaschten Ausdruck mit dem Paul sein Leben beendet hatte. Über ihnen surrten die Neonröhren und entfernt war das Rauschen der Autobahn zu vernehmen. Die Plastikwaschbecken waren verschmiert mit der Mischung aus Dreck, Blut, Laubfetzen und Kieselsteinen, den die Jungen von sich abgewaschen hatten.
Tom schien nach Worten zu suchen, knöpfte sein Hemd zu, das die blasse Brust, Prellungen und blaue Flecke verbarg. Wasser lief ihm aus den nur halbtrockenen Haaren und mischte sich mit den Tränen, die er wütend wegblinzelte. Garry hasste Tom für eine kalte Sekunde dafür. Die Stille zwischen ihnen wurde immer nur noch lauter.
»Ich hab damals gesagt… ich erklär dir alles…«, begann Tom schließlich.
Garry unterbrach ihn, indem er die Hand seines Freundes festhielt und mit seiner anderen das Hemd wieder aufknöpfte.
»Wenn ich nicht…«
»Shshhh…«
Langsam und nüchtern musterte Garry Toms weisse Haut, auf der sich Gänsehaut bildete, als er das Hemd zur Seite streifte und mit der Rückseite der Finger über die Brust des Jungen strich. Es war als würde Garry sich selbst beobachten, so distanziert, so losgelöst von seinem eigenen Empfinden erlebte er die Situation. Er handelte bewusst, nicht instinktiv. Registrierte und analysierte jede seiner Bewegungen. Er verachtete sich dafür, daß er so rational agierte.
Tom schaute ihn an, verfolgte Garrys Hände die ihn streichelten, ertasteten. Um ihn wieder zu erfassen. zu be-greifen.
Garry zog Tom an sich und begann diesem mit seiner rechten Hand über die Front der klammen Jeans zu streichen. Drängend.
»Garry nicht…«Tom versuchte Garrys Hand zu stoppen. Gegen seinen Willen zeichnete sich rasch eine deutliche Beule unter dem fadenscheinigen Stoff ab.
Doch Garry reagierte nicht. Er schlang den linken Arm um Toms Schultern und hielt ihn an sich gepresst, verbarg sein Gesicht an der Schulter des Freundes, fuhr fort ihn mit der anderen Hand zu massieren.
»Nicht jetzt… nicht hier….« Tom hielt Garrys Kopf umfasst und strich durch dessen zerzauste Frisur, stöhnte unwillentlich auf, als sich der Druck verstärkte mit dem Garry ihn manipulierte. »Nicht.. nicht…«
Tom wollte Garrys Hand wegschieben, doch dieser umfasste nur dessen Handgelenk fest und presste Toms Hand in seinen Schritt.
Und erst als Tom begann Garrys Handbewegung nachzuahmen. Als er ihrer beider Reflektion erkannte, wie sie beide einander umklammernd dort im grünblauen Neonlicht standen, die Hände im Schritt des anderen mechanisch reibend, als er das leise Wimmern hörte, das sich Garrys Kehle im selben Moment entrang, als auch Tom in seiner Hose kam… erst da merkte er, daß auch Garry weinte.
Sie hielten sich noch eine Sekunde umklammert, ehe sie sich säuberten und den Waschraum verließen.

***

Zlatko sagte nichts, als sie sich zu ihm in die hinterste Ecke des Raststätten-Imbiss in eine Sitzecke aus spröden und brüchigem Lederimitat fallen ließen. Tom sagte nichts, als Garry Zlatkos Hand nahm und sie kurz drückte.
Die Bedienung, stellte ihnen wortlos drei Pappbecher mit Kaffee hin, die sie nicht bestellt hatten.
Garry sah zu der jungen Frau auf.
»Wir haben kein Geld.«
»Ich weiß.« Die Frau angelte Zucker und Milch vom Nebentisch und schob es den Jungen rüber.
»Wir- wir wollten uns nur kurz aufwärmen…« Tom strich sich einen Wassertropfen aus der Stirn, der ihm aus den Haaren rann.
»Kein Stress.« Sie schaute sich kurz um, doch ausser ihr und den Jungen war nur noch ein älterer Mann im Laden, der am Fenster hockte und über seiner Zeitung eingedöst schien. Die Jungen nippten an den Kaffees, hielten sie mit beiden Händen umklammert. Die Frau hockte sich zu ihnen. »Ich hab gesehen, wie ihr ankamt. Ihr seit aus diesem Internat, oder?«
»Wir sind-«, begann Garry doch Zlatko unterbrach ihn.
»Danke für den Kaffee, aber wir müssen weiter…« Er bedeutete Garry und Tom aufzustehen, die ihm unwillig folgten.
»Wart ihr da, als die Bombe hochging?«
Die drei erstarrten in ihrer Bewegung.
»Was?«
Die Kellnerin, deren Namensschild “Hallo ich bin Jessy!” sagte, deutete nur auf den stummgeschalteten Fernseher, der über dem Tresen angebracht war. Ein Nachrichtensender zeigte Bilder eines Reporters, der vor einer Rauchwolke stand, umgeben von Feuerwehrwagen und flackernden Polizeilichtern. Erst jetzt erkannten die Jungen woher die Rauchwolken stammten. Erst jetzt realisierten sie die Schlagzeile, die in einem Laufband durchs Bild trieb: “Bombenanschlag auf Privatschule St. Constantine – Polizei spricht von mindestens drei Toten – Skandalinternat kommt nicht zur Ruhe”.
»Ihr seit dort entkommen oder? Ich hab gesehen wie ihr aussaht… und dachte… « Jessy zuckte die Schultern. »Hey. Ein Cousin von mir, er wollte auch dort hin… Gott sei Dank haben ihn seine Eltern nicht gelassen. Schaut nicht so ängstlich… Es ist okay. Ich weiß was sie da mit euch gemacht haben. Seit froh, daß ihr da wegseit.« Sie lächelte unbeholfen. »Wenn ich euch irgendwie helfen kann…? Wollt ihr was essen?«
Die Jungen nickten stumm.

Als Jessy ihnen zwanzig Minuten später nochmal Kaffee bringen wollte, war die Sitzecke verwaist. Halbleere Teller und Pappbecher standen verlassen auf dem Resopaltischchen.
Draussen vor dem Imbiss glitt ein Mercedes mit zersprungener Frontscheibe auf den Parkplatz.

***

Leander van Gey und Benjamin stiegen aus. Sie stritten. Schließlich verschwand der Junge im Inneren des Imbiss, während van Gey sich zum Fenster des Mercedes herunterbeugte und mit dem Fahrer redete.
Nur Sekunden später rammte ein Kastenwagen das Auto. Ein geschundener Motor heulte auf, als der Rückwärtsgang eingelegt wurde und van Geys eingequetschten Leib freigab und in den Schneematsch klatschen ließen.

Als Benjamin Sekunden später herausgerannt kam, sah er nur noch die Rücklichter des Wagens am Ende der Strasse verschwinden. Der Junge musterte den schwer verletzten van Gey nur für eine Sekunde, ehe er ihn mit dem Fuß beiseite rollte und in den lädierten Mercedes stieg.
»Worauf wartest, fahr los verdammt!«
»Vielleicht sollten wir doch lieber ihren Vater…?«
»Meinen Vater kriegst du früher zu sehen als dir lieb ist! Fahr zu!«
Der Mercedes startete nach zwei Versuchen und fuhr zurück auf die Autobahn.

Jessy die ebenfalls heraus gerannt war, starrte ihm nach und hoffte die Polizei würde bald kommen.

***

Garry blickte in Trance auf die angeknackste Scheibe ihres Kastenwagens, den Zlatko mit dem Benzin eines unachtsam abgestellten Ersatzkanisters eines Lastwagens aufgetankt hatte, dessen Fahrer nichtsahnend in seiner Kabine eingepennt war. Scheibenwischer spielten PONG und verschmierten Schneeregen und Blutschlieren in denen sich das Licht der Autobahnbeleuchtung brach.
»Soll Zlat nicht lieber wieder…« Garry berührte Tom, der das Steuer verkrampft festhielt. Der Wagen schlingerte immer wieder leicht, wenn der Junge eine Lenkbewegung übertrieb.Sie fuhren zurück nach St. Constantine. Zurück in einem gestohlenen verbeulten Wagen in dem zwei Leichen lagen. Verfolgt von einem Mercedes der irgendwo hinter ihnen sein musste.
Malejoy hatte sich in den Beifahrersitz geworfen und sah blicklos nach draussen.
»Laß ihn okay?« Er schaute Garry nicht an als er sprach. »Laß ihn in Ruhe, schlechter als ich fährt er auch nicht.« Zlatkos Stimme klang müde, er war am Ende eines langen Tages. Erschöpfung triumphierte über die Angst. Garry sagte nichts als sich Zlatko an ihn lehnte und die Augen schloss.
Garry musste sich anstrengen um nicht ebenfalls einzudösen. Er zwang sich immer wieder in den verbliebenen Rückspiegel zu schauen, doch noch war die Autobahn hinter ihnen leer. Garry beobachtete das Gesicht seines Freundes, der angestrengt auf die Strasse starrte. der Mittelstreifen den ihre Räder frassen, Kilometer um Kilometer.

Er war fast eingeschlafen, als ihn das Klingeln des Handys aufschrecken ließ. Sekunden verstrichen, während er tastete suchte, bis er das klobige Mobiltelefon schließlich zwischen den Sitzen herausgeangelt hatte, zwischen die es im Eifer ihrer Flucht gerutscht war.
»Hallo?»
»Garry..«
»Fagrid? Fargrid! Bist du okay…«
»Garry hör nicht auf ihn.. versprich…« Ein klatschendes Geräusch war zu hören und Fagrids Stimme riss ab. Eine andere Stimme war undeutlich zu hören. Dunkel,gepresst. »Genug jetzt. Bringt ihn fort. Und passt auf, daß er euch nicht wieder auskommt.«
»Wer ist da?«
»Oh. Garry Poppers.« Der Mann am anderen Ende der Leitung klang als würde er lächeln. »Nach all der Zeit sprechen wir uns wieder persönlich…«
»Mort.« Garry fühlte wie sich Tom neben ihm verspannte. Zlatko, der durch das Klingeln ebenfalls erwacht war, schaute fragend zu Garry auf.
»Wir sollten uns sehen. Es ist an der Zeit.«
»Fick dich!« Der Junge wollte auflegen, doch sein Zorn war zu stark. Sein Magen war zur Faust geballt. Soviel Wut, soviel Hass, der sich alleinig auf diese fremde Stimme im Telefon konzentrierte.
»Halt die Luft an Poppers. Oder ich sorge dafür, das dein Kumpel Fagrid und dein Internatsfreunde sich von dieser Welt verabschieden.«
»Was willst du?«
»Ich wüsste nicht das ich dir erlaubt habe mich zu dutzen. Du hast eine Stunde um nach Kockshead zu kommen.«
»Was wenn ich nicht komme?«
»Dann wirst du morgen sehr aufmerksam die Nachrichten schauen.»
»Ich weiß von der Bombe in Cockwarts…«
»Willst du wirklich, daß meine Freunde von der Feuerwehr den zerquetschten Leib eurer kleinen Freundin und ihrer Affäre unter Trümmern hervorziehen, Garry?«
»Moany! Was hast du mit ihr gemacht!«
»Cockwarts in einer Stunde.«
Es klickte und die Leitung war tot.

Garry schaute von Tom zu Zlatko, der sich noch immer halb schlaftrunken neben ihm aufstützte.
»Sie haben Faggy und Moany.«

Garry Poppers 40

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Mit wenigen Tagen Verspätung, anah an “Ende Februar”, kommt hier jetzt das von vielen immer wieder angefragt neue Kapitel von “Garry Poppers”. Und ehe ihr es falsch versteht: Ich freue mich über jede Nachfrage, denn mittlerweile gibt es ja doch so einige regelmässige Leser, die Garry über die Jahre treu geblieben sind und es kommen immer wieder neue hinzu.

Für alle Neueinsteiger, hier wie immer der Hinweis auf das allererste Kapitel von Garry Poppers und natürlich der Hinweis auf die Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse, als kleine Gedächnisstütze für alle die nach der langen Pause wieder reinkommen wollen: The Story so far… findet sich hier.

Wie immer danke an alle die mitgehen um die seltsamen und mittlerweile doch sehr dunklen Erlebnisse von Garry und seinen Freunden zu verfolgen und danke auch für euer Feedback, Anmerkungen und die Ermunterungen weiterzuschreiben, was jetzt, da das Ende der Geschichte so langsam in Sicht ist, nicht immer leicht fällt. Doch genug Gequatsche, ich wünsch euch mal wieder viel Spaß beim mittlerweile 40. Kapitel…

A rock and a hard place

Vor ihnen lag die schwach erleuchtete Silhoutte von Kockshead. Garry stieß Zlatko an, der ans Seitenfenster gelehnt eingedöst war. Er selbst hatte nur für eine knappe Stunde die Augen schließen können und trotz Toms Versicherung, es sei alles okay, nicht wirklich Ruhe gefunden. Jetzt standen sie auf einer kleinen Anhöhe, nahe der Autobahnausfahrt und konnten noch immer Rauchschwaden sehen, die dort in den Vorboten der Dämmerung aufstiegen, wo sich St. Constantine verbarg. Es mochte viertel nach 5 sein sein, wenn die kleine Digitaluhr im Amaturenbrett richtig ging.
Bis sechs hatte Mort ihnen Zeit gegeben. Von ihren Verfolgern, dem lädierten Mercedes fehlte auch weiterhin jede Spur. Entweder waren Ben und sein Muskelmann zurückgepfiffen worden oder der Wagen hatte letztlich doch schlapp gemacht.
»Irgendwelche Vorschläge?«
»Wir drehen um und retten uns?»
Tom sah Zlatko an und wollte etwas erwidern, doch der hob beide Hände.
»War nur Spaß.«
»So lustig.«
Garry hörte ihnen kaum zu. Er starrte auf die Rauschwaden und die Silhoutte der Stadt.
»Fahr los.« Er nickte Tom zu.
»Was hast du vor? «
»Die Schule retten.«
»Guter Plan.« Malejoy wechselte einen vielsagenden Blick mit Tom. »Du hast auf dem Schirm, das wir zu nur zu dritt sind… und nicht grad topfit?«
Tom drehte den Zündschlüssel und ließ den Motor aufröhren. Mit einem Sprung nach vorn, ruckte der Kastenwagen zurück auf die Strasse. In Richtung der kleinen Stadt.

»Wer sagt das wir zu dritt gehen?«

***

Garry fror erbärmlich. Ihm blieben noch dreissig Minuten. Mit dem Leatherman-Messer kappte er die Vertäuung eines kleinen Bootes im winzigen Hafen von Kockshead. Nicht weit von ihm lag der kleine Butterdampfer, mit dem sie vor Monaten ihre erste Reise nach St. Constantine unternommen hatten. Damals war alles noch neu und aufregend erschienen. Freigetränke und billigen Nippes. Damals kannte er Tom und Moany kaum, war Malejoy aus dem Weg gegangen. Jetzt lag der See in der Dämmerung vor ihm, in der Entfernung lagen die Zinnen von Cockwarts, aus denen nur noch wenig Rauch aufstieg.
Der Junge sprang in das kleine Ruderboot und stieß sich vom Kai ab. Ruderte mit langen Schlägen über das nebelverhangene Wasser, dessen klamme Feuchtigkeit ihm in die Kleider kroch und den Atem gerinnen ließ.
Garry versuchte nicht an Tom und Zlatko zu denken. Nicht an das Ungewisse das vor ihm lag. Mit jedem Zug an den Rudern verschwand die Stadt weiter im Nebel, näherte er sich dem waldigen Ufer am Fuße der Anhöhe, auf der das Internat lag.

Er erreichte das andere Ufer (der Gedanke machte ihn unwillkürlich Grinsen) mit einem unsanften Ruck, als das Boot mit sandigem Knirschen am steinigen Strand auflief. Garry überlegte kurz es zu verstecken, doch das würde nur unnötige Zeit kosten. Und überhaupt, welchen Sinn machte es für eine ungewisse Rückkehr zu planen. Vielleicht würde ihm wenigstens seine Ankunft von der Seeseite einen kleinen Vorteil bringen, Morts Leute würden ihn sicher über den Vordereingang oder die Lieferzufahrt erwarten. Wobei der Haupteingang noch immer abgesperrt war, bewacht von einem einzelnen Streifenwagen.

Als Garry sich durch den kleinen Wald näherte und Cockwarts besser erkennen konnte, war er fast erstaunt, wie wenig man dem Gebäude ansah, daß es Schauplatz einer Bombenexplosion gewesen war. Die Türme starkten wie eh und jeh in den Himmel, und äußerlich waren wenige Schäden zu erkennen. Lediglich der Neubau, der die Sporthalle und die Aula beherbergte, schien in Mitleidenschaft gezogen. Fenster blinzelten blind in die Nacht und Ruß hatte die Fassade geschwärzt, es roch brandig. Langsam schob sich der Junge durch die Bäume, abwartend, beobachtend. Unwillig seine Deckung aufzugeben und die Strecke bis den Sportplätzen zu überbrücken, die ihn für einige Momente ohne Schutz den Blicken freigäbe. Er wollte grade loslaufen, als ihn ein Geräusch innehalten ließ. Motorensurren. Ein Auto fuhr die Auffahrt hoch. Ein Mercedes, dessen Windschutzscheibe herausgebrochen war. Aus seinem Versteck erkannte Garry drei Personen die ausstiegen. Ben und sein Gorilla… und Zlatko.

»Laß mich… du Wichser…«
Malejoy wurde von Bens Handlanger am Arm aus dem Wagen gezerrt. Garry versuchte zu erkennen ob auch Tom im Wagen saß doch eine Bewegung am Tor lenkte ihn ab. Ein Mann kam auf Ben zu, er trug eine Uniform. Er deutete eine Verbeugung an. Als er sich mit dem Jungen zusammen dem Auto näherte und ins Scheinwerferlicht trat, erkannte Garry den Einsatzleiter der Polizei, der damals den Brandanschlag auf Fagrids Haus aufgenommen hatte. Der Polzist, der als Brandursache einen durch Sonnenstrahlen entzündeten Whiskeyrest in einer geschliffenen Karaffe notierte. Garry erinnerte sich ihn schon mehrfach gesehen zu haben, nachdem sich die Vorfälle in Cockwarts häuften. Zuletzt hatte er die Evakuierung geleitet. Ben richtete kurz das Wort an seinen Handlanger, der Mann schubste Zlatko zu ihnen herüber. Für eine Sekunde war Malejoy frei, doch sein Versuch sich in den Wald zu flüchten wurde rasch vereitelt. Der Polizist holt ihn mit einem Schlag von den Beinen.
»Hiergeblieben.«
»Poppers kann nicht weit sein. « Ben zerrte den Jungen auf die Beine. »Ist er auch in der Stadt? Was ist, du hast doch sonst immer sone große Fresse, Zlad.«
Der vierzehnjährige stieß Zlatko in die Arme des Polizisten. »Los bring ihn mit rein. Er wird schon reden, ohja das wird er.«

Ben wandte sich ab und bedeutete ihm zu folgen. Der andere Mann bestieg erneut den Wagen und fuhr kurz darauf in Richtung der Sportplätze davon.

***

Garry blieb regungslos geduckt in seinem Versteck hocken, bis das Motorengeräusch verklungen war. Er beobachtete das Internat. Im Hauptgebäude brannte noch Licht, genauso in einigen der Gemeinschaftszimmer. So groß konnte der Explosionsschaden nicht sein, selbst die Überwachungskameras waren noch in Betrieb, ihre roten Augen glommen in den Winkeln des Internatsgebäudes. Zweifellos würde jetzt einer von Morts Männern vor den Monitoren sitzen und beobachten, wer sich dem verwaisten Gebäude näherte. Zumindest dort, wo die Kameras nicht durch die Detonation zerstört waren.

Zwanzig Minuten später ließ sich Garry so leise er konnte an einem Seil in die Turnhalle hinuntergleiten. Es war glitschig vom Löschschaum, die Luft roch nach Chemie und Brand. Ein Teil der Tribüne war eingestürzt und in der Außenmauer der kellertief gelegenen Turnhalle klaffte ein breites Loch. Garry war dort eingestiegen, vorbei an herausragenden Stahlbetonstreben, Schutt und Asche. Vom Rande der noch stehenden Tribüne gelang es ihm das Seil zu erreichen. Mit ihm wollte er sich zur Ausgangstür hinüberschwingen. Doch das Seil war rutschig und die Luft bereitete ihm Kopfschmerzen. Erneut reichte der Schwung nicht und über ihm knarzte die Seilwinde bedrohlich. Noch einmal stieß sich Garry von der verbogenen Ballustrade ab, als der Träger über ihm endgültig nachgab. Der Junge sprang und prallte gegen die Ausgangstür. Hinter ihm krachte die Seilaufhängung zu Boden und riss dabei einen Teil der Decke mit.

Keine Zeit den Schaden zu begutachten. Garry stolperte durch die Ausgangstür, als er auch schon Schritte hörte, die sich näherten. Er spurtete zurück und bog nach links in die Umkleide, dort hatte die Explosion einige der Spindschränke umgeworfen. Eine Neonröhre hing halb von der Decke und flackerte, tauchte den Raum in gespenstische Muster. Garry stolperte ungelenk durch den Raum, schob sich unter einem umgestürzten Schrank hinduch. Ein Seitenblick in die Duschräume zeigte weitere Verwüstungen, Rohre waren geplatzt und feiner Sprühregen rieselte aus dutzenden Löchern, setzte die Fliesen unter Wasser und ließ eine Stromleitung an der Wand funkenstiebend Britzeln. In einem Film hätte Garry sich jetzt die Stromleitung geschnappt und geschickt eine Elektrofalle für seine Verfolger gebaut, doch dies war kein Film und alleine der Gedanke erschien im lächerlich. Die Stimmen kamen näher. Die Tür zur Turnhalle wurde aufgerissen und zeitgleich schob sich Garry durch die Ausgangstür der Umkleide in den Flur, der zur großen Halle führte und den Neubau mit dem Hauptgebäude des Internats verband.

Auch hier knisterte noch immer der letzte Rest des sackenden Löschschaums und verlieh der Luft eine chemische, brandige Note, die das Atmen schwer machte. Garry kämpfte gegen seine Benommenheit an. Wenigstens bot ihm die Dunkelheit ein wenig Deckung, denn auch hier glomm nur noch eine schwache Notbeleuchtung. Er schob sich an der Wand entlang, bis er die Tür zum Treppenhaus ertasten konnte. Kaum daß er es betreten hatte, hörte er die Männer zurückkommen. Der Sechzehnjährige schaffte es sich mit einem Sprung vom eingestürzten Absatz der Treppe ans obere Geländer in den ersten Stock zu ziehen, als auch schon die Tür unter ihm aufflog. Garry blieb mit angehaltenem Atem auf dem schuttbedeckten Boden liegen. Vor seinem Auge hoben sich Putzbrocken und Betonstücke wie Bergrücken ab, vermengte sich Staub und geschmolzener Löschschaum zu einer kalkigen Pampe, die langsam seine Kleidung durchnässte.
»Nichts, du siehst Gespenster! Kommt jetzt, wir sollen die Verbindungstüren zusperren. Dann gibts nur noch einen Weg, wie hier jemand reinkommt.«
Garry kannte die Stimme, aber konnte sie nicht zuordnen. Nachdem sich die untere Tür geschlossen hatte blieb er noch einige Sekunden abwartend liegen, ehe er wagte aufzustehen. Vorsichtig trat er in den ersten Flur, ins große Karee von dem die Gänge zu den vier Häusern, dem Lehrertrakt und den oberen Unterrichtsräumen abgingen. Er schaute vorsichtig über das Geländer nach unten. Im Eingangstor, halb im Schatten verborgen standen zwei Männer. Kurz darauf kamen seine Verfolger von unten dazu. Sie sprachen, aber er konnte keines der verhallten Worte verstehen. Wo sollte er hin? Wieder mal wurde ihm schmerzlich bewusst, das er keinen Plan hatte. Wo würde Mort sein? Wo wären Hermoaning und die anderen? Wie sollte er jemals-
Ein Schmerzensschrei stoppte seine Gedanken. So laut, so durchdringend und gepeinigt, daß Garry schlecht wurde. Zlatko.
Es kam aus der Lernküche. Ohne Nachzudenken spurtete der Junge los, im Gehen hatte er sein lächerlich kleines Messer gezückt und bremste erst ab, als er fast mit der Tür zum Kochsaal kollidierte – die sich just in diesem Moment öffnete. Im letzten Moment schaffte er es auszuweichen und sich in eine Nische neben einem Getränkeautomaten zu quetschen, als die Tür nur Zentimeter von seiner Nase anschlug und ihm die Sicht nahm.
»Ich habe ihn hergebracht, Dad!« Es war Bens Stimme. Sie klang weit weniger selbstsicher, als noch vor wenigen Minuten unten im Hof.
»Ihr habt Poppers entkommen lassen. Malejoy ist unwichtig.«
»Ich wollte von Anfang an nicht dort hin, aber Leander hat gesagt wir bringen ihn-«
»Leander ist tot. Ihr habt versagt. Ihr habt beide versagt. « Die Stimme klang nasal und kalt. Es gab ein Klatschen und Garry realisierte das Ben soeben geohrfeigt worden war.
»Du hast dich erniedrigt für dieses Pack!«
»Aber Dad, Leander… ich hab getan was er gesagt hat. Du warst so lange im Gefängnis…ich wollte nicht.«
»Er kann froh sein das er tot ist. Ihr habt euch alle viel zu gemein gemacht. Ich hab klare Order erteilt und nichts davon wurde-«
»Dad, du bist ungerecht! Die Schule wurde geschlossen! Sieh dich um! Du hast gewonnen! Poppers wird kommen und dann-«
»Er wird kommen? Genauso wie seine Väter, was? Er wird weglaufen und seine Freunde ihrem Schicksal überlassen. Das haben sie damals gemacht…und ihr Sohn wird keinen Deut besser sein.«
Aus der Lernküche drang ein verhaltener Schmerzenslaut.
»Dad, er weiß wo Poppers ist! Er wird reden!« Ben räusperte sich. In seiner Stimme schwang Wut mit, die er zu unterdrücken suchte. »Ich werde ihn zum reden bekommen. Glaub mir.«
Der Mann – Mort – schien zu überlegen. Schließlich grunzte er zustimmend.
»Du hast eine halbe Stunde. Vielleicht bist du ja für irgendetwas gut. «
»Ja Dad. Er wird reden, er wird-«
»Und Ben.«
»Dad, ich werde-«
»Mich interessieren nur Ergebnisse. Keine Erklärungen. Ich bin mit Kommissar Werner unten. Geh jetzt.«
»Ja Dad.«

Etwas von dem was Mort sagte, klang in Garrys Kopf wieder. Er versuchte einen klaren Gedanken zu fassen doch zu spät. Die Schreie gingen wieder los.

***

»Garry NEIN!« Zlatkos Stimme hallte hohl von den Saalwänden. Widerwillig senkte Garry sein Messer, das er noch bis eben gegen Bens Kehlkopf gepresst hatte. Die Augen des kleineren Jungen blickten leer an ihm vorbei. Er hatte das Skalpell und den Gratinierbrenner fallen lassen, mit denen er Zlatkos Finger traktierte. Garry trat beides zur Seite.
»Na los, mach ein Ende.« Ben sah Garry an. Wären nicht die Schweißperlen auf seiner Stirn gewesen, hätte nichts auf seine Angst hingewiesen. »Mach ein Ende.«
Garry wollte irgendetwas fühlen. Hass, Zorn, Mitleid. Doch da war nur Kälte. Er umfasste sein Messer fester und verstärkte den Griff um den Kehlkopf Bens.
»Verdammt mach mich los!« Zlatko holte Garry in die Echtzeit zurück. Er war noch immer an den umgekippten Stahlstuhle gefesselt, von dem Garry Ben eben weggezogen hatte. »Mach mich los! Beeil dich!«
Mit einer fließenden Bewegung stieß Garry Ben zu Boden. Er verdrehte ihm beide Arme auf den Rücken und sicherte den Jungen mit einem Knie, während er die Kabelbinder durchtrennte, die Zlatkos blutende Hände an den Stuhl fesselten.
Mühsam rappelte sich Malejoy auf. Die Kuppe seines kleinen Finger der linken Hand war versengt, es roch süßlich verbrannt, Er versuchte die FInger zu bewegen und grimmassierte vor Schmerz, aus zwei Schnitten nahe des Daumenballens floß ein kontinuierliches Blutrinnsal.
»Die Tür!«
Poppers kapierte erst nach einer Sekunde.
Garry gestikulierte Zlatko sich um Ben zu kümmern. Der setzte sich kurzerhand auf den Jungen und dessen verdrehte Arme. Kurz darauf hatte Garry den altmodischen Riegel vor vor die Tür geschoben und kehrte y mit dem Inhalt des Verbandskastens zurück, der für Notfälle neben den Spülbecken angebracht war. Zumindest würden sie hier keinen überraschenden Besuch bekommen. Wortlos streckte ihm Zlatko seine Hand entgegen und sagte kein Wort, bis Garry sie mit Schnellldesinfektion besprüht und mit selbstklebendem Druckverband umwickelt hatte. Schließlich stand er auf und deutete auf Ben. Garry nickte wieder nur. Er fixierte die Hände des Vierzehnjährigen mit Pflastertape hinter dessen Rücken und zog ihn auf die Beine.
»Wo sind die anderen?«
»Ich weiß es nicht. Sie haben nichts gesagt.« Zlatko zuckte zusammen. als er versehentlich mit der Hand an das Lehrerpult anstieß, auf dem er hockte. »Vielleicht weiß unser kleiner Folterknecht hier mehr.«
»Ich sag nichts!« spuckte Ben trotz aus.
»Das werden wir sehen.« Garry bückte sich und hob den Gratinierbrenner hoch. Auf Knopfdruck leuchtete die kleine Gasflamme, so heiß das man es noch aus einigen Zentimetern Entfernung spüren konnte. Garry näherte sich Bens Gesicht. »Ich weiß du bist Schmerzen gewohnt… aber wie sieht es-«
Zlatko nahm Garry den Brenner ab und warf ihn zu Boden. »Hör auf damit.«
»Aber er hat dich-«
»Er weiß nichts.« Zlatko stand auf.
»Woher willst du das wissen..?«
»Weil er nichts wußte? Sein Vater vertraute Leander mehr als seinem eigenen Sohn. Er benutzt ihn. Er vertraut ihm nicht.«
»Mein Vater…vertraut mir! Er-« Ben sah Zlatko finster an.
»Dein Vater hält dich für eine dumme Schwuchtel. Du bist ihm egal.« Zlatko war Ben ganz nahe als das sagte.
»Das ist nicht wahr. Mein Vater, er hat mir…«
»Du bist ihm egal. Scheißegal. Das ist doch dein Problem Bennie. Du bist allen egal. Du hast sogar Francis Bruder umgebracht, aber van Gey hat dich trotzdem wie Dreck behandelt.«
»Halt die Fresse! Halt die Fresse halt die Fresse! Mein Vater wird euch-«
Zlatko griff sich das Pflastertape und knebelte Ben. Der Junge heulte vor Wut, doch Malejoy ignorierte ihn.
»Soviel zu deinem Plan, Poppers. Was wenn sie gar nicht hier sind?«
»Ich hätte ihn zum Reden gebracht.»
»Garry, er kann uns nichts sagen. Er ist ein jämmerlicher Wichser, der sein Leben lang davon geträumt hat, daß sein Papa endlich kommt und ihn von van Gey wegholt. Doch das ist nie passiert. Jeder hasste seinen Vater und dabei wollte klein Bennie doch nur auf ihn stolz sein, nicht? Von ihm respektiert werden.« Zlatko ging zum Waschbecken und hielt seinen Kopf drunter. Blut und Dreck rannen in den Ausguß. Zerknüllte Papiertücher landeten auf dem Boden. »Ben hat sich sogar für seinen Vater von van Gey ficken lassen. Nicht wahr Ben? Das war nicht Rape, oder? Nein, das war Leander auf den echten Fotos?«
Bennies Augen leuchteten von Hass und Tränen. Er stürmte auf Zlatko los, doch der wich aus und Ben fiel zu Boden.
»Doch alles umsonst. Papi war nicht stolz oder? Hat er dir gratuliert? Hat er die auch nur einmal gedankt? Was ist Bennie? Hat er?«
Zlatko nahm Garry bei der Hand. Sehr sanft.
»Komm.Wir sollten zusehen das wir abhauen.«
»Wir können ihn doch nicht hier lassen..? Wir sollten ihn mitnehmen, als Geisel. Wenn sich uns wer in den Weg stellt-«
»Nein«, Zlatko zog Garry mit sich.
»Aber er ist unsere einzige Chance hier rauszu-«
»Das sind nicht wir.« Malejoy warf noch einen Blick auf den gefesselten Ben, der mit leerem Blick vor der Spüle lag und leise vor sich hinschluchzte. »Das sind nicht wir. Komm jetzt. Ich glaub ich weiß wie hier hier rauskommen.«
Die Lernküche lag genau über dem Speisesaal und der großen Mensaküche und Garry verstand sofort was Zlatko vorhatte. Der Speiselift mit dem Frischwaren aus den begehbaren Kühlschränken der Mensaküche hier hochtransportiert wurden. Er lag halb verborgen neben der kleinen Gewürzkammer und der Gefriertruhe am Ende der Lernküche. Die beiden Jungen schoben sich zwischen den Arbeitstresen, den Herdkombinationen und Topfregalen hindurch.
»Da passe ich nie rein!«
»Du sollst nicht reinpassen, du sollst dich runterlassen.« Zlatko öffnete die Tür und zog die kleine Transportkabine so hoch, daß sie den Schacht des Aufzugs freigab. Er sicherte die Zugkette mit einem Esslöffel, den er in ein Kettenglied steckte und verbog. »Rein da, los mach!«
»Ich weiß nicht..« Garry dreht sich zu Zlaktko um, der Geschirrtücher aus einem Regal hervorzerrte und um seine Hände wickelt. Zwei weitere warf er Garry zu, der ihn unglücklich ansah. »wir-«
Die Klinke der großen Eingangstür wurde heruntergedrückt und beide Jungen erschraken. Jetzt dröhnte Klopfen und eine Stimme klang dumpf durch das Holz.
»BEN MACH AUF! WAS IST DA LOS VERDAMMT?”«
Erstarrt beobachteten die Jungen wie Ben sich langsam auf die Tür zurobbte.
»Fuck!« Garry stieg in den Fahrstuhlschacht, zwei Geschirrtücher um seine Hände gewickelt, umklammerte er die wackligen Seile, die die Kabine links und rechts hielten. In der nächsten Sekunde war er verschwunden. Zlatko folgte ihm, er griff ebenfalls nach den Seilen und schrie vor Schmerzen auf, als sich das der ölige Draht in seine aufgeschnittenen Handfllächen drückte. Für eine Sekunde verlor er die Kontrolle und sauste ins Untergeschoss, wäre fast auf Garry gelandet, der grade die untere Luke aufgetreten hatte und sich nach draußen schob. Auch Garrys Handflächen waren aufgeschürft, doch er ignorierte das Brennen und zog Zlatko ins Freie und schlug die Aufzugsklappe zu, als könnte sie etwaige Verfolgern auch nur eine Sekunde aufhalten.
Sie standen in der verwaisten Großküche St. Constantines. Der Dunst des letzten Essens hing noch in der Luft, vermischt mit Essigreiniger, Rauch und dem Geruch von Aluminium und Fliesen. Hier war Garry zuletzt in der Silvesternacht gewesen. Er schnappte sich eine Cola aus eine Regal, eine Handvoll Schokoriegel die noch neben dem Ausgabetresen standen und marschierte auf den Hinterausgang zu. Er wußte, der Alarm würde losschrillen, wenn er sie öffnete, doch das war ihm egal. Sobald Morts Leute mit Ben gesprochen hatten wußten sie eh was los war. Für eine Sekunde wünschte Garry er hätte Ben … was erledigt? Umgebracht? Zum Schweigen gebracht. Der kleine Bastard hatte es verdient. Und dann flackerten Bilder des toten Mannes im Haus im Wald vor seinem Auge auf. Bilder des Mannes, den Francis erstochen hatte. Bilder von Francis der immer noch tot neben Pauls Leiche im Lieferwagen, irgendwo am Bahnhof von Kockshead lag. “Das sind nicht wir…”
Zlatko und Garry sahen sich an.
»Bereit?«
Zlatko nickte. Er wickelte das Handtuch fester um seine linke Hand.
Garry offnete die Notverriegelung des Hinterausgangs und beide Jungen sprinteten hinaus. Rannten, verfolgt von schrillem Alarmfiepen, in die neblig-graue Morgenluft, durch den Gemüsegarten, vorbei an der leeren Zufahrt in der normalerweise der Lieferwagen des Internats parkte (doch auch er war für die schnelle Evakuierung-Cockwarts genutzt worden), vorbei an der Rückseite der Sportplätze. Sie sahen sich nicht um. Blickten nicht zurück, als sie durch den verwilderten Park stolperten, der die Tennisplätze von den großen Brunnen trennte. Hier hatte Fagrid Garry die Wahrheit über Mort erzählt, über alles was damals passiert war. Sie rannten. Erst als sie am äußeren Ende des Internatsgeländes anlangten, an der aus natursteinen gesetzten Begrenzungsmauer, die das Gelände vom nahen Waldstück abtrennte, hielten sie inne. Keuchend und mit zitternden Oberschenkeln, schmerzenden Seiten.

»Was für eine idiotische Scheiße! Was für eine Schnappsidee! Wir hätten alle wie Tom-«
»Wo ist Tom? Haben sie ihn auch geschnappt?«
Zlatko stützte sich an Garry ab. Er sah zur Anhöhe hinauf auf der St. Constantines thronte. Blutig glommen die Türme des Gebäudes, von der Sonne erhellt, die sich langsam den Himmel hinaufarbeitete.
»Ich weiß es nicht. Ich war kaum halb auf der Straße zum Jugendzentrum, als plötzlich dieser Scheiß-Mercedes um die Ecke kommt und mich dieser Gorilla packt. Es war eine Schnappsidee. Was wolltest du alleine hier?«
»Ich hätte es schaffen können! Ich kenn mich aus. Wenn sie Moany und Fagrid hier festhalten, dann hätte ich sie-«
»Träum weiter, Poppers.« Zlatko klang erschöpft. Er angelte die Colaflasche aus Garry Hosentasche und versuchte sie zu öffnen. Doch seine verletzte Hand machte es unmöglich. Garry nahm ihm die Flasche ab, schnappte sich einen Stein und schnippte damit den Kronkorken ab. Er nahm einen Zug und gab dann dem anderen Jungen zu trinken. Zlatko wollte die Cola nehmen, doch Garry drückte seine Hand herunter und setzte dem anderen die Flasche wieder an den Mund. Zlatko gab auf und trank in großen Schlucken, bis er etwas in den Hals bekam und Husten mußte. Klebriger Zuckersaft rann ihm am Kinn herunter. Garry mußte lachen. Er warf die Flasche über die Mauer und zog Malejoy an sich. Er küsste ihn. Schmeckte Cola und… etwas salziges, kupfriges, atmere den erschöpften Geruch des anderen ein, der ihn ungelenk mit seinen malträtierten Händen umarmte, ehe er den Kuss erwiederte. Diesmal nicht scheu sondern fordernd und drängend. Garry hielt Malejoy fest und schob seine Hände unter Jacke und Shirt des Jungen, bis er die erhitzte Haut des anderen spürte, die in der Morgenkälte erschauderte.
Das Aufheulen von Motoren weit oben vom Internat, brachte die Wirklichkeit zurück, die sie für eine Sekunde vergessen hatten.
Garry sah Malejoy an. Er mußte kichern.
»Was?« Malejoy schaute irritiert. »Was ist…«
»Ich hab nen Ständer.« Es war so absurd und doch war es die Wahrheit. Hier in der unwahrscheinlichsten Situation seines Lebens stand Garry an einem kalten Märzmorgen, übermüdet und zerschunden, verfolgt und verraten, demjenigen gegenüber, den er noch vor zwei Monaten für seinen größten Widersacher gehalten hatte und verspürte das erste mal seit Wochen wieder etwas gewöhnliches, alltägliches, das er schon fast verdrängt hatte in all dem Trouble der vergangenen Wochen. Er schaute an sich hinunter, sah Zlatko an und lachte.
»Willkommen im Club.« Malejoy mußte gegen seinen Willen auch Lachen. »Und ich dachte du hast nurn Snickers in der Tasche.«
»Nicht nur. Aber… Das hat nichts mit dir zu tun«, kicherte Garry.
»Nein nein, nur ne Morgenlatte«. Die beiden lachte lauter. Sie hielten einander fest und lachten. Dann erklangen die Polizeisirenen und sie sahen, wie sich in der Entfernung ein Wagen mit flackerndem Blaulicht die Auffahrt hinaufschob und das Lachen erstarb.
»Fuck.« Garry wuschelte Zalkto durch die verschwitzen und wirren Haare.
»Später. Laß uns zusehen das wir hier wegkommen.«
»Wie? Vor dem Eingang stehen die Bullen und der See liegt auf der anderen Seite der Zufahrt.«
»Und jetzt?« Malejoy klaute sich einen der Schokoriegel den Garry sich in die Jackentaschen gestopft hatte und atmete ihn ein.
»FagridsHaus.«
»Was?«
»Fagrids Haus, es ist gleich da vorne. Wenn wir es bis dahin schaffen weiß ich wie wir reinkommen, das Haus liegt direkt an der Grenze, der Vordereingang geht zur Straße raus, damit wären wir am Haupteingang vorbei. Wir können Fagrids Wagen nehmen, ich weiß wo er seinen Zweitschlüssel aufbewahrt.«
»Nützt es was, wenn ich sage, daß ich kein Gutes Gefühl dabei habe?«
»Scheiß drauf, du Wichser. Wenn wir hier rauskommen, sorg ich dafür das du gute Gefühle kriegst.«
»Poppers, wo ist deine ganze Zurückhaltung geblieben. Du bist so-«
»Komm!«

***

Kaum zehn Minuten später drückte Garry die Verandatür von Fagrids Haus auf, die er mit dem Messer vorsichtig entriegelt hatte. Es war kalt und die Luft roch abgestanden, als habe seit Wochen niemand mehr gelüftet. Die Jungen schoben sich ins Wohnzimmer und verriegelten die Tür hinter sich. Garry wagte nicht Licht anzumachen. In der Entfernung reflektierten die Blaulichter der Polizeiwagen, die weiterhin das Gelände abfuhren.
»Der Schlüssel muß unter diesem Völkerball-Pokal sein, der dort am Kamin steht. Verdammt es ist zu dunkel.«
Es klickte, als ein Feuerzeug eine karge Flamme erschuf und sie an der Finsternis lecken ließ.
»Ich… « sagte eine Stimme, die aus dem Schatten drang, der sich nur schwach als Silhouette im Lesestuhl der Kaminecke erkennen ließ, »Ich bin überrascht. Guten Abend, Garry. Oder besser. Guten Morgen.«
Instinktiv umklammerte Garry Zlatkos Hand und drückte sie so fest, daß der Junge aufheulte.
»Scheiße.«


Garry Poppers – Kapitel 41

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Viele Nachfragen und etliche Monate später kommt hier mal wieder ein neues Kapitel rund um Garry Poppers, seine Freunde und seine Erlebnisse im Internat St. Constantin alias Cockwarts. Wie immer geht an dieser Stelle auch der Dank an alle Stammleser, genau wie an alle neu hinzugekommenen, die durch ihr Lob, ihre Anregungen und ihre Fragen ein beständiger Antrieb sind trotz knapper Zeit immer wieder weiterzuschreiben. Danke an alle die den Weg – der sich langsam dem Ende nähert – mitgehen, trotz langer Wartezeiten und Typos und meiner berüchtigt improvisierten Kommasetzung.

Ganz besonderer Dank geht an dieser Stelle an Arvid Zeugner, der nicht nur fleissig mitliest, sondern sich die Mühe gemacht hat, die bisherigen Kapitel von den gröbsten Typos und Fehlern zu befreien, ein paar der Inkonsistenzen auszubügeln, die ich mir immer für die endgültige Überarbeitung aufgeschoben hatte, und das Ganze dann inkl. Kapitelverzeichnis und einem Personenindex als PDF zusammenzubasteln. Wow! Dafür an dieser Stelle nochmal ganz lieben Dank ich hab mich wirklich sehr drüber gefreut! Arvid, you’re the man!

Für euch heißt das: Wer möchte kann sich den fast kompletten Garry Poppers (1-40) zum nachschmökern auf einen Rutsch herunterladen. Und zwar HIER.

Für alle die ihr Gedächnis nochmal auffrischen wollen, findet sich hier wie immer die aktualisierte Zusammenfassung: “Garry Poppers – The Story so far” Und wer nicht mittendrin einsteigen, sondern lieber wissen will wie alles anfing: Hier geht es zum ersten Kapitel.

Nun, genug der Vorrede, ich wünsche wie immer viel Spaß bei der neuen Folge und freue mich auf Kommentare, mails, Kritik und Anregungen von euch.

Gruß, der Batz

+++

Guantano mera

Zlatko war schon zur Tür raus, ehe Garry noch wirklich realisiert hatte was los war. Als er endlich losrannte war es zu spät. Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter und zog ihn zurück. Er stolperte rückwärts, ging zu Boden.
»Lauf! hau ab!« schaffte er noch hervorzustoßen, dem flüchtenden Malejoy hinterherrufend, als sich auch schon eine Hand auf seinen Mund drückte und ihn verstummen ließ.
Nur schemenhaft erkannte er den Mann der neben ihm kniete.
»Sei still verdammt«, die Hand löste sich und der Mann zog Garry auf die Füsse. Er war zu perplex sich zu wehren. Vorsichtig schaute der Mann durch den Türspalt nach draußen, ehe er sie wieder schloß. »Verdammter Idiot, er wird sie noch hierherlocken!«
»Was… was machen Sie hier?« Im Licht der Dämmerung erkannte er Julian Rapes markante Gesichtszüge, die sich jetzt wieder ihm zuwandten. Der Mann beäugte ihn kritisch.
»Dasselbe könnte ich dich fragen!« Rape leuchtete Garry mit einer LED-Taschenlampe seines Schlüsselbundes ins Gesicht, daß dieser geblendet wurde. Er umfasste das Gesicht des Jungen, begutachtete die Kratzer und Schrammen die sich deutlich auf der blassen Haut abzeichneten. »Bist du verletzt?«
Garry schüttelte den Kopf. »Nein nichts… nur Kratzer.«
Die unerwartete Begegnung mit Rape paralysierte Garry. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Impuls Zlatko zu folgen und der Neugier, was sein alter Lehrer und Widersacher hier zu suchen hatte. Er schwankte zwischen Angst und Schuldgefühlen, denn letztlich war Garry nicht unschuldig daran, daß Rape die Schule unter peinlichsten Umständen verlassen mußte. Umstände die sich im Nachhinein als geschickt orchestrierte Manipulation van Geys herausgestellt hatten. Von denen Zlatko gewusst hatte. Kein Wunder das er panisch weglief.
»Was macht ihr hier? Ist Tom auch hier?« Rape warf wieder einen unruhigen Blick über die Schulter.
»Nein. Nur Malejoy und ich… Mort ist oben im Internat.«
»Was du nicht sagst. Und obwohl ihr das wisst haben du und Zlad nichts besseres zu tun als hier seelenruhig reinzumarschieren?«
»Wir wollten-«
»Ihr scheint ja unzertrennlich zu sein, der kleine Malejoy und du. Ich wette es war seine Idee dich hier herzubringen. Direkt in Goldenrohrs Arme. Und du rennst ihm nach, wie so ein dummes Schaf!«
»Nein, Sie sehen das völlig falsch… ich-«
»KOmm schon Garry. Du traust diesem kleinen Bastard? Seine Eltern gehörten immer zu Morts engsten Vertrauten.«
»Ich weiß aber-«
»Du weißt.? Oh so eng seit ihr beiden? Und ich wette er hat dir auch erzählt, das er mit van Gey und diesem Ben unter einer Decke steckt?«
»Das ist nicht wahr, Zlatko hat nur…«
»Was hat er nur? Er hat dich benutzt Garry. Hast du dich gar nicht gewundert, daß er plötzlich so hilfsbereit war. Das er wie durch Zufall mit dieser CD ankam? Mit diesen Drecksbildern? Diesen Lügen!«
»Nein, es war nicht.. ich meine… er hat…«
»Garry hör auf mit deinem Schwanz zu denken. Das ganze war ein-«

»VERDAMMT ICH WEIß ES!« Garry stieß Rape zurück. »Ich weiß es, okay? Zlatko hat mir alles erzählt.«
»Ach dann hat er dir sicher auch gesagt, daß er wußte das die CD gefälscht war…«
»JA.« Der Junge versuchte sich zu beruhigen. Er wollte nicht schreien. »Ja. Er hat mir alles erzählt. Sie haben ihn gezwungen… «
»Gezwungen, ja sicher. Und deswegen versucht er dich jetzt auch gradewegs wieder in Morts Falle zu treiben.« Rape lachte verächtlich.
»Quatsch! Sie reden echt nur scheiße! Zlatko hat mich gerettet. Ohne ihn wäre ich jetzt schon lange von van Gey zu Mort gebracht worden. Sie hatten mich doch schon längst. Zlatko hat mich gerettet. Er hat mir geholfen Tom zu befreien. Es tut ihm leid… okay? Er ist ein Freund… und wegen ihrer Scheißpanikmache hier, rennt er jetzt draußen bei Morts Leuten rum! «
»Glaub mir, sie werden ihm nichts tun. Eine Krähe-« Rape schüttelte den Kopf. »-macht noch keinen Sommer.«
»Ich hab keine Zeit für diese Scheiße. Während Sie hier rumschwallen, hat Mort Hermoaning und die anderen… und wo- wo waren Sie überhaupt? Als hier alles den Berg runterging? Sie haben sich verpisst, sind abgehauen wie ein feiger-«
Für eine Sekunde sah es aus als wollte Rape Garry Ohrfeigen. Er hatte die Hand schon erhoben, hielt jedoch inne, schließlich strich er Garry in einer ungewohnten Geste unbeholfen über den Kopf.
»Du hast Recht.« Der Mann wich dem Blick des Jungen aus. »Ich bin abgehauen, aber du mußt mir glauben, ich hatte meine Gründe.«
»Ja sicher. Anstatt sich zu verteidigen wegrennen und die Schule ihrem Schicksal überlassen. Hat sich wirklich gut gemacht die Schlagzeile: “Perverser Folter-Lehrer untergetaucht”. Genau die Publicity die wir gebraucht haben.«
»Ich hätte nichts machen können. Alberich meinte es sei die beste Lösung, wenn ich für eine Weile verschwinde. Er konnte nichts für mich tun. Schau Garry, im Knast hätte ich niemandem was genutzt. Ich- ich hab versucht Tom zu finden. Wir haben es fast geschafft, ich hab Fagrid den Hinweis gegeben wo er Tom findet, ich hab ihm gesagt das er-«
»Sie haben ihn in eine Falle laufen lassen. Sie haben Fagrid geschnappt. Und Tom wäre auch dran gewesen, wenn Zlad und ich ihn nicht rausgeholt hätten.«
»Wir waren zu spät. Ich weiß… Wir dachten, wenn sich Fagrid schnappen lässt, dann finden wir Morts Versteck… und es hat auch geklappt, sie haben uns direkt zu ihm geführt. Nur daß ihr uns zuvorkamt. «
»Was für ein Haufen-«
Garry verstummt, als aus dem hinteren Teil des Hauses ein langgezogenes Stöhnen zu ihnen trieb.
»Warte hier.«
Garry ignorierte die Anweisung und folgte Rape, als dieser ins Schlafzimmer am Ende des Flures ging. Er nahm eine Taschenlampe vom Sideboard und beleuchtete die massige Gestalt auf dem Bett.
»Nimm die Scheißfunzel weg…«, dröhnte der Mann und versuchte sich aufzusetzen.
»Faggy!« Garry ging auf den Freund zu. »Ich hab versucht dich zu erreichen… Ich…« Er brach ab, als er die Platzwunden und Schrammen sah, die Fagrids rechte Gesichtshälfte verunzierten. Er wollte den Mann umarmen, doch Rape hielt ihn an der Schulter zurück.
»Sachte.« Er leuchtete auf Faggys Brust, die ein notfürftiger Verband schmückte, der Blutdurchweicht mit Gaffatapefestgeklebt war. »Garry ist hier.«
»Fagrid, was ist… wir haben gesehen, wie sie dich aus dem Auto gezerrt haben, aber wir konnten nicht… wir konnten… ich wollte helfen…«
Der große Mann umfasste Garrys Hand, zog ihn neben sich aufs Bett. Er versuchte ein Lächeln.
»Es war eine Scheißidee. Wenn ihr nicht für Ablenkung gesorgt hättet durch eure Flucht, wäre ich tot…Mort kam kurz nachdem ihr weg wart. Er war nicht grad sehr happy. Als er dich anrief… du hättest nicht kommen sollen. Ich wollte fliehen als wir Kockshead ankamen, doch Mort hat mich erwischt… Er kann immer noch mit dem Messer umgehen. «
»Sie haben ihn auf dem Marktplatz aus dem Wagen geworfen und liegen lassen. Ich war ihnen gefolgt und hab ihn hergebracht…« erklärte Rape. Es klang entschuldigend.
»Sie hätten ihn lieber zum Arzt gebracht. Faggy, deine Brust.. wie schlimm ist es?«
»Garry…« es war Fagrid anzumerken, wie schwer ihm jedes Wort fiel. Er schüttelte nur den Kopf, sah wieder zu dem Jungen auf. »Ist Tom okay?«
»Ich weiß es nicht. Ich hoffe es. Paul und Francis… sie sind…« Er konnte es nicht aussprechen. Garry schluckte. Es war so irreal. Vor wenigen Stunden hatte er noch mit Francis geredet. Vor nichtmal einer Woche hatte ihn Paul aus eisigen Wassern gerettet. Und jetzt waren beide… Tod ist kein Konzept, daß man verstehen kann, wenn man jung ist. Die Welt ist unendlich, der Himmel weit und es gibt immer ein Morgen. Immer Zeit noch etwas gut zu machen. Francis und Paul würden Garry nie wieder nerven. Er würd sich nie wieder über sie ärgern oder als Bedrohung sehen, eifersüchtig auf sie sein oder sie verfluchen. Was auch immer ihre Körper angetrieben hatte war ihnen mit Gewalt entrissen worden, zurückgeblieben waren beschädigte Hüllen. Leer und zerbrochen.
Garry merkte erst das er weinte, als ihm Fagrid sanft über den Kopf strich. Rape ließ ihn aufblicken.
»Wir müssen verschwinden, ehe uns der kleine Malejoy Morts Gesinde auf den Hals hetzt. Kannst du gehen?«
»Warum wart ihr überhaupt hier?«
»Ich wollt Fagrids Verletzung versorgen lassen… ich hoffte Bernd wäre noch hier, ich hab ihn versucht zu erreichen…. aber sind uns zuvorgekommen, waren vor uns hier. Wir sind über den Feldweg hergekommen, ich wollte Fagrid nur kurz hier lassen und Bernd holen als, ich sah was passiert war.. und Morts Tross grade zum Haupttor hineinrollte. Mit Polizeieskorte und allem Tratra. Die Feuerwehr war grade abgerückt, das ganze Gebäude wurde abgesperrt. Wir konnten weder rein noch raus. Ich hoffte es würd sich eine Möglichkeit ergeben unerkannte abzuhauen, wenn wir uns ruhig verhalten. Ich hab immer wieder versucht Alberich zu erreichen, aber er ist immer belegt. Und dann seit ihr beide hier reingestolpert…«
Garry spürte Befremden wenn er Rape zuhörte. Er war froh Fagrid wieder zu sehen, doch die Konfrontation mit seinem verhasstesten Lehrer, der plötzlich so normal, so zugänglich schien war zuviel. Erwachsene sollten nicht so unberechenbar sein. Erwachsene sollten einen Plan haben, doch nach dem was Rape erzählte, war er genauso hilflos herumgestolpert wie Garry und Zlatko. Schlimmer noch, er wußte um Morts Einfluß, er kannte die Hintergrundgeschichte und dennoch war er genauso dumm in dessen Fallen getappt wie alle anderen. Selbst Fumblemore, der große Alberich hatte letztlich keine Ahnung. Selbst er hatte Mort unterschätzt und noch diplomatische Tändeleien ausgehandelt, als schon längst klar war, daß Mort es ernst meinte. Das er Cockwarts zerstören wollte und alles wofür es stand.
Für eine Sekunde empfand Garry nur Wut. Enttäuschung und Zorn auf über die Unfähigkeit dieser Männer, die sie hätten beschützen müssen. Deren verdammte Pflicht es gewesen wäre, ihre Schüler zu schützen. Die auf ganzer Linie versagt hatten.
Es mochte erbärmlich gewesen sein, aber er hatte einen Plan gehabt, als er entschied, daß sie sich aufteilen sollten um auf verschiedenen Wegen zu versuchen Hermoaning und die anderen zu befreien. Es war kein guter Plan, doch es war der einzige der ihm einfiel. Er hatte etwas versucht. Rape und Fagrid hatten nichts erreicht in all den Wochen. Nichts. Alle ihre Connections, all ihre Verbündeten und alles was es gebracht hatte war Fagrid, der schwer verletzt hier lag und Rape, der nicht wagte sein Gesicht zu zeigen. Der vermutlich nichteinmal wagen würde Fagrids ins Krankenhaus zu bringen, aus Angst dort erkannt und festgenommen zu werden.

***

»Sie haben Tom.« Eine Stimme ließ sie herumfahren.
Zlatko stand im Türrahmen hinter ihnen. Schwer zu sagen wann er hereingekommen war und wieviel er mitgehört hatte. Sein Blick glitt von Fagrid, zu Rape und zurück zu Garry.
»Das du dich wieder hertraust« Rape trat einen Schritt auf Malejoy zu, dieser starrte ihn nur an, wich nicht zurück.
»Komm Garry«, er streckte Garry ein Hand entgegen.
»Du kannst nicht.. er wird dich in eine Falle- Wahrscheinlich warten Morts Leute schon vor Tür.« Rape drängte sich dem Jungen vorbei und verschwand im Flur. Zlatko sah nochmal zu Fagrid.
»Komm, du kannst ihm nicht helfen.«
»Du bist zurückgekommen?«
»Gewöhn dich dran. Komm jetzt. Ich hab eine der Patrouillen belauscht. Sie haben Tom geschnappt und bringen ihn zusammen mit dem Bus hierher…«
»Bus?«
»Hermoaning und die anderen. SIe haben eines der Heime unter ihrer Kontrolle… Anscheinend will Mort sie hier haben… als Druckmittel… Jetzt komm schon!«
Nach einem Seitenblick auf Fagrid, der erneut bewusstlos geworden war, riß Garry sich los. Zlatko schob ihn vor sich her, sie standen wieder vor der Tür zum Garten, durch die sie gekommen waren. Rape trat vom Fenster zurück.
»Holen Sie Hilfe… «
»Ihr bleibt hier. Es ist zu ge-« die Tür klappte und die Jungen waren verschwunden.
»Poppers!« Der Mann starrte ihnen nach, wie sie im Schutze der mannshohen Hecke verschwanden. »Verdammt Garry… Verdammt.«

***

Seit einer halben Stunde lagen die Jungen auf der Lauer. Sie hatten sich bis nahe des Haupteingangs unerkannt durchgeschlagen und lagen nun verborgen vor Blicken hinter der Immergrün-Hecke, die den Vorhof von den Sportanlagen trennte. Von hier hatten sie die Auffahrt und den Eingang des Internats im Blick. Garry spürte wie ihm die Kälte durch die Kleidung in den Leib kroch und er musste einmal mehr gegen seine Erschöpfung ankämpfen, die sich immer wieder bemerkbar machte, wenn die Adrenalinschübe abklangen. Er rückte unbewusst näher an Zlatko heran, dessen Wärme er neben sich spürte.
»Zlad…?«
Der andere Junge wandte sich zu Garry um. Er sah abgekämpft aus, er sah so aus wie Garry sich fühlte.
»Hm? Was los?«
»Ich wollt nur sagen…« Garry rang nach Worten die sich in seinem Mund verkanteten und partout nicht zu Sätzen werden wollten.
»Merks dir, okay? Unser Bus kommt…«
Zlatko stand auf, doch Garry hielt ihn am Arm fest.
»Warte.. ich wollt sagen… «
»Fresse Poppers und beweg deinen Arsch. Los…«
Das Dröhnen des Bus, der sich die Anhöhe hinaufschleppte liess sie verstummen. Garry versuchte hinter den dunklen Scheiben Gesichter zu erkennen, doch es waren nur Schattenrisse erkennbar. Geduckt schlichen er und Malejoy neben dem Bus her, der schließlich mit einem Ruck zum Stehen kann und mit schmatzendem Zischen seine Türen öffnete. Ehe Garry reagieren konnte war Zlatko auch schon unter dem Fahrzeug verschwunden und schob sich robbend auf die andere Seite. Garry folgte ihm. Mit angehaltenem Atem lagen sie nebeneinander und beobachteten wie mehrere Beinpaare dem Bus entstiegen. Stimmen kämpften gegen das Tuckern des Dieselmotors an.
»Ihn zuerst… der Boss will ihn sehen.«
»Was mit den anderen?«
»Warte hier… wir können sie nicht lange hier lassen. Bald werden die Reporter wieder auftauchen… und Schiffer kann uns seine Kollegen von den Bullen auch nicht ewig vom Hals halten. «
»Dann bring ihn rein. « Ein drittes Paar Füsse erschien. Turnschuhe, eine verdreckte D&G-Jeans deren stylisher Vintage-Look mittlerweile von der Realität überholt worden war.
»Tom!« Garry hielt sich selbst eine Hand vor den Mund, als er merkte, daß er laut gesprochen hatte. Zum Glück hatten Motorenlärm und Umgebungsgeräusche seinen Ausruf überdeckt. Zlad warf ihm einen genervten Blick zu und tippte sich an die Stirn. Die beiden Jungs robbten vorwärts um besser sehen zu können, doch eine unabsichtliche Berührung mit dem heißen Motorblock über ihnen vereitelte weiteres Vorankommen. Garry presste sich noch platter auf den Boden und sah wie Tom hinter dem blonden breitschultrigen Mann herstolperte, der ihn mit Kabelbinder und Gaffatape gefesselt, am Arm hielt und die Freitreppe des Internats hinaufmarschierte.
Garry spähte nach links und rechts. Er sah Malejoy an und deutete auf den Bus über ihnen und gestikulierte ein Abzählen und eine Frage mit den Händen. Wieviele? Zlad überlegte kurz… er kroch etwas seitwärts und spähte seitlich am Bus hinauf. Dann hielt er zwei Finger hoch.
Zwei Leute. Zwei von Morts verfluchten Dreckskerlen.
Garry überlegte kurz, dann kroch er rückwärts und schob sich unter dem Bus hervor. Er bedeutete Zlad zu warten, als sich vorsichtig aufrichtete und sich dann an am hinteren Fenster emporzog um in das innere des Fahrzeugs zu schauen. Nur mit Mühe konnte er sich an einer Lüftungsmulde und der Wartungsklappe festhalten. Das Licht im Inneren war aus und durch die getönten Scheiben des Reisebusses war es schwer etwas zu erkennen. Fast hätte er das Gleichgewicht verloren, als er sich mit einem Male Auge in Auge mit einem bekannten Gesicht sah, das ihn von der anderen Seite ebenso überrascht ansah. Dani! Sie schaute sich kurz um, doch der Busfahrer und ihr Bewacher unterhielten sich und achteten nicht sie. Garry versuchte sich mit einigen Gesten verständlich zu machen. Er deutete auf Dani, dann auf ihre Wächter und legte beide Hände an den Mund und vollführte einen stummen Schrei. Dann zeigte er auf sich und den Eingang des Busses, machte eine Bewegung als würde er kämpfen. Dani schien zu verstehen, aber sie schüttelte den Kopf. Sie deutete mit der Hand, die nicht an Haltestange des Buss gefesselt war, eine Pistole an und zeigte auf ihre Bewacher. Garry dachte nach, entschied dann jedoch das sie keine Zeit zu verlieren hatten. Wer weiß wie lange dauern würde, ehe weitere von Morts Handlangern auftauchten. Er machte eine Basta-Geste und zählte mit den Fingern einen Countdown und wiederholte dann seinen stummen Schrei und zeigte auf Dani. Fünf Minuten. Ablenkung. Lärm. Zögerlich nickte das Mädchen schließlich, leise gab sie die Botschaft an ihre Mitschüler weiter, die um sie herum saßen. Schließlich zeigt sie Garry einen emporgereckten Daumen und begann dann einen Countdown. Garry umrundete den Bus und schob sich wieder neben Zlatko und erklärte ihm flüsternd was er vorhatte.
»Das ist Wahnsinn.. die haben Waffen! Sag ihr sie soll-«
Weiter kam er nicht, denn im nächsten Moment war aus dem Bus Lärm zu hören.
»LOS!«

***

Zeitgleich krabbelten Garry und Zlatko rechts und Links der Einstiegstür unter dem Bus hervor. Einer der Männer war verschwunden, seine Stimme drang vom Ende des Fahrzeugs zu ihnen. Der Busfahrer hockte gelangweilt auf seinem Sessel und versuchte herauszukriegen, was dort hinten los war und ob er sich wohl auch bewegen musste. Eines der Drecksgören machte Theater und schrie wie am Spiess. Doch ehe sich der Mann zu einer Entscheidung durchgerungen hatte, wurde er durch zwei Bewegungen abgelenkt.
Erst als er das Blut im Mund schmeckte und beim Versuch des Einatmens merkte wie die Luft an falsche Stelle entwich, wurde ihm klar, das ein Messer zwischen Adamsapfel und Brustbein in seinem Hals steckte. Doch auch diese Erkenntniss währte nur kurz, als ihn vier Hände packten und zu Boden rissen und ihn abtasteten.
»Wo ist die verdammte-«
»Da… über dem Lenkrad!«
»Garry pass auf!«
Der zweite Mann war herumgewirbelt, stieß Dani zu Boden und wollte sich seinen Weg durch die Sitzreihen bahnen, als ihn mehrere Tritte zu Fall brachten. Die an ihre Sitze gefesselten Cockwarts-Schüler hatten schnell reagiert und zögerten keine Sekunde. Einer der Roughntough Jungen stieß sich aus seinem Sitz ab und warf sich mit vollem Gewicht auf den Mann, als dieser sich grade wieder aufrappeln wollte und nach seiner Waffe tastete. Als der Mann wieder aufsah, blickte er in den Lauf einer Waffe, hinter der Zlatkos grimmiges Gesicht erschien.
»Fuck you!« Der Junge stellte ihm den Fuß ins Genick und presste die Mündung gegen die kurzgeschorenen Haare des Kerls.
»Was habt ihr mit Martin..gemacht.« krächzte der Mann.
Zlatko wollte irgendwas cooles und abgefucktes sagen, aber ihm fiel nichts ein. Er versuchte den Gedanken an den anderen Mann zu verdrängen, dessen Blut den Mittelgang des Busses herabrann. Der Mann dem sie ein Messer in den Hals gerammt hatten um ihn außer Gefecht zu setzen.
Garry trat neben Malejoy und kniete sich hin, durchsuchte rasch die Jacke des Mannes, bis er auch dessen Waffe gefunden hatte. Dann fiel sein Blick auf Dani die quer über zwei Sitze gefallen war. Er legte die Waffe beiseite, ergriff ihre Hand und zog sie auf den Sitz. Er wollte ihre mit Kabelbinder gefesselten Füsse befreien, doch sein Messer…. war… Der Busfahrer. Verdammt. Er stieß sich an der Lehne ab, drängte sich an Zlatko vorbei und ging nach vorne. Das Messer… er mußte es- Der Busfahrer war verschwunden. Dort wo er noch eben am Boden gelegen hatte, zeugte nur eine große Blutpfütze von seiner Anwesenheit. Er war weg. Er war… Garry trat einen Schritt aus dem Bus heraus und spähte nach links und rechts. Im selben Moment spürte er einen durchdringenden Schmerz im Bein. Er stolperte und rollte in Kies und dreckigen Schnee. Im Liegen sah er sich in Augenhöhe mit dem unter dem Fahrzeug verborgenen Busfahrer, der mit einer Hand seine verletzte Kehle umklammerte, mit der anderen das Messer, das Garrys Hose sauber zerfetzt und blutigen Schnitt in seiner rechten Wade hinterlassen hatte. Der Mann starrte ihn an. Beim Versuch etwas zu sagen quoll ein neuerlicher Blutschwall zwischen seinen Fingern hervor. Er versuchte sich aufzurichten und begann langsam auf Garry zuzukriechen, wie ein verdammter Zombie der einfach nicht sterben wollte. Und die zweite Waffe lag neben Dani auf dem Sessel.
Garry trat dem Mann ins Gesicht. Ein unaussprechliches Geräusch ein gurgelnder Schrei, erstickt, feucht. Unmenschlich. Es sollte aufhören. Garry trat nochmal zu. Nochmal. Eine Hand des Mannes krallte sich in sein Bein, griff in die Schnittwunde und ließ auch Garry aufschreien. Mit aller Macht trat er ein letztes Mal zu. Ein garstiges Knacken, als sein Schuh noch einmal mit dem Kopf des Mannes kollidierte, ein seufzendes Ausatmen. Stille. Die Hand des Mannes erschlaffte und Garry kroch drei Schritte zurück.Weg. Er starrte den regungslosen Leib an.
Der Junge zitterte als er mühsam aufstand und auf den Bus zuwankte. Wortlos entwand er der leblosen Hand des Busfahrers das Messer und zog sich am Haltegriff der Tür ins Innere.
»Was.. was ist…?«
Schweigend drängte er sich an Zlatko vorbei. Schweigend befreite er Dani von ihrer Fessel. Das Mädchen umarmte den Jungen, hielt ihn für eine Sekunde, bis das Zittern abebbte. Sie nahm ihm das Messer ab und begann ihre Schulkameraden zu befreien.
»Was habt ihr mit Martin gemacht!« Der andere Kerl versuchte sich auf zubäumen. Fast hätte er es geschafft Zlatko aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch drei andere Jungen – Debille, dessen rechte Schläfe eine hässliche Abschürfung verunzierte, der schmächtige Gustame und der massige Pitt Buhl, der Zlatkos Auftauchen sichtlich erleichtert zur Kenntnis genommen hatte – ergriffen ihn und zerrten ihn in einen der Sitze. Dani zerrte eine Tüte aus der Fahrerkabine hervor in der noch mehr Kabelbinder, Gaffatape und ein Teppichmesser lagen. Sie warf es Pitt zu, der etwas ratlos dreinschaute.
»Los bind ihn an den Sessel«, Zlatko schaffte es seinem alten Vaseline-Kumpel ein Lächeln zuzuwerfen, das diesen eifrig nickend ans Werk gehen ließ.
»Wieviele von euch sind da drin?« Garry baute sich vor dem Mann mit dem kurzgeschorenen Haar auf.
»Ihr schafft es nie hier raus! «
»Wer sagt das ich raus will?« Garry nahm Dani das Messer ab und wischte es an seiner Hose sauber. Er drückte dem Mann die Messerspitze gegen den Unterkiefer. »Wo bringen Sie Tom hin?«
»Und wo ist Moany!« Dani war neben Garry erschienen. Sie starrte den Mann finster an.
Erst jetzt wurde dem Jungen bewusst, das Hermoaning nicht hier war. Er hatte Dani gesehen und war einfach davon ausgegangen, dass Moany hier irgendwo sein musste. Die beiden gehörten doch zusammen. Moany und Dani. Dani und…
»Wo ist sie?«
»Sie haben Sie mitgenommen, nachdem sie das Heim unter Kontrolle hatten. Er hier.. er hat einen Anruf bekommen, sie haben Fagrid geschnappt und er sollte Moany mitbringen um dich… Wo ist sie?«
»Drin. Der Boss wollte sie nah bei sich haben. Er wartet auf dich Poppers. Er wußte genau, das du kommen wirst, wenn er deine beiden Freunde zu sich einläd…« Schweißperlen glitzerten auf der Stirn des Mannes. Er versuchte überheblich zu wirken, doch das Zittern seiner Stimme verriet ihn. Die Messerspitze, die jedesmal wenn er schluckte ein wenig in seine Haut ritzte. Garry überlegte ob er die Klinge nicht einfach nach oben rammen sollte. Es wäre so leicht. Das Fleisch unter der Messerspitze war so weich und nachgiebig, ein Ruck und das Schwein könnte nie wieder jemandem etwas tun. Ein Ruck und…
»Es reicht…« Zlakto entwand Garry das Messer. »Gib her. Es reicht jetzt. Er kann uns nichts mehr tun. « Zlatko wischt dem Mann einen Tropfen Blut vom Kinn und malte ihm damit ein Kreuz auf die Stirn. »Wieviele seit ihr?«
»15.. nur 15… und vier Beamte… Freunde von Schiffer.«
»Schiffer ist der korrupte Bulle?«
Der Mann nickte. Etwas in Zlatkos Blick jagte ihm mehr Angst ein, als Garrys Hass. Zlatko war ruhig.
»Also 20… plus Bennie… Das sind alle? Alle Wachen, alle im Gebäude? Denk gut nach.«
»Tim ist noch mit dem anderen Wagen unterwegs… aber.. das sind alle. Alle. Und Martin… mein Bruder?«
Zlatko wandte den Blick ab. Er sah zu Pitt.
»Los Knebel ihn und sorg dafür, dass er sich nicht befreien kann. Und verbind seine Augen.«
Während Pitt sich um den Mann kümmerte, zog Garry Zlatko in eine Ecke. Sie merkten, das die anderen Jugendlichen sie musterten, erwartungsvoll beobachteten. Irgendwie waren sie zu Anführern geworden. Sie hatten impulsiv gehandelt, sie hatten keinen großen Plan. Sie waren müde und erschöpft und doch sagen die anderen zu ihnen auf. Erwarteten eine Idee, einen Plan wie es weitergehen sollte.

***

»…Waffen. Willst du das? Wir bringen alle in Gefahr!« Zlatko redete auf Garry ein.
»Wir haben ihnen den Arsch gerettet! Ich hab… ich hab…« Garrys Stimme überschlug sich. »Es ist nicht fair! Nicht fair!«
»Fair gefickt.« Zlatko gab Garry einen Kuss auf die Wange. »Und jetzt steck dir dein Selbstmitleid und laß uns Tom und Moany da rausholen.«
»Ich kann auch ganz allein gehen. Ich brauch euch nicht.«
Malejoy verdrehte die Augen. Er nahm die zweite Waffe und drückte sie Garry in die Hand.
»Komm jetzt. Wir haben echt keine Zeit für deine Divennummer. Entweder wir gehen da jetzt beide rein oder nicht. Ich bin zu müde für Poppers-Egokoller.«
Und damit drehte sich der der Junge weg. Er ging zu Dani und redete kurz mit ihr. Sie nickte. Dann blieb er kurz vor Pitt stehen, der ihn ansah wie ein Hündchen seinen Besitzer. Er zögerte eine Sekunde, dann umarmte er den grobschlächtigen massiven Jungen, der ihn um fast einen Kopf überragte.
»Bring sie raus hier.« Er drückte Pitt seine Waffe in die Hand. »Und wenn euch jemand aufhalten will… « Er nickte Dani und dem Jungen zu. Sah zu Debille und den anderen. Dann verließ er den Bus.
Er war schon fast am Tor, als Garry ihn einholte. Die anderen Jugendlichen stiegen ebenfalls aus. Blinzelten skeptisch und unsicher in den fahlen Wintermorgen. Begann sich abzusprechen. Pitt besah sich die Leiche des Busfahrers und versuchte sie zu bewegen.

Garry rannte um Zlatko einzuholen. Wenige Meter vor der Elektrobaracke hatte er ihn eingeholt.
»Warte… Was… was hast du ihnen gesagt.«
»Sie sollen abhauen. Wenn wir es nicht schaffen, dann wenigstens sie…«
»Wie nobel.« Der Sechzehnjährige spuckte aus. »Wenn wir es nicht schaffen? Was fürn Scheißspruch. Ich bin diesen ganzen Mist so leid. Ich hab nie drum gebeten hier den Einzelkämpfer zu machen.«

»Garry«, Malejoy sah müde und genervt aus. »Ist dir je in den Sinn gekommen, dass sich die ganze Welt nicht um dich dreht? Glaubst du ich hab hier Spaß? Glaubst du dein Tom-«
»Ich machs ja, okay?. Ich machs. Ich bin nur so verdammt… müde.«
»Und es wird besser, wenn du mich anzickst?« Zlatko legte Garry eine Hand in den Nacken.
»Ein bißchen. « Der Junge lächelte. »Nur ein kleines-«
Ein Knirschen ließ Garry herumfahren. Er erkannte grade noch, wie der Bus, angeschoben von 15 Jungen und Mädchen, Fahrt aufnahm und Rückwärts den Hang hinabzurollen begann, der vom Wäldchen zum Internat hinaufführte. Er gewann an Fahrt, schlidderte im Schneematsch und es dauerte nicht lange bis er sich aufschaukelte und… einen BMW von der Strasse fegte, der die gewundene Auffahrt entlanggerollt kam. Beide Fahrzeuge kippten, der Bus schlug um und rutschte seitlich an der Tennisanlage vorbei und krachte mit eine stumpfen Geräusch in die großen Eichen, die die Strasse zur Einfahrt markierten. Der BMW, von der Wucht des Aufpralls aufs Dach geschleudertet glitt weiter ins Tal, bis ihn die Begrenzungsmauer des Internats stoppte.
Garry hatte das Spektakel mit stummem Erstaunen beobachtet.
»Los…« Zlatko zog ihn zurück in Deckung des Generatorenhäuschens, das zwischen Internat und Sportplatz stand. »Wenn ich mich nicht irre, bekommen wir gleich Besuch.«
Das letzte was Garry von Pitt und Dani sah war, dass sie die massige Figur des anderen Mannes packten und mit sich wegschleppten. Sie hatten ihn mit herausgezogen, ehe sie den Bus den Abhang herabrollten.
Der Busfahrer war verschwunden. Nur noch ein paar rotbraune Dreckpfützen waren geblieben.
Ein Knall ließ beide Jungen aufschrecken. Aus der Entfernung stieg Rauch auf. Der BMW brannte. Zwei Gestalten krochen heraus und rollten sich auf den Boden.
»Ich wünschte du hättest wenigstens Pitt nicht weggeschickt.« Garry lachte auf als ihm klar wurde, was er gesagt hatte. »So ein Satz, von mir… Fuck, wir sind echt verzweifelt.«
»Glaub mir, die anderen brauchen ihn dringender als wir.«
Die Türen des Internats flogen auf und sechs Männer stürmten heraus. Es dauerte nicht lange, ehe sie den Bus und das brennende Auto am Ende des Hangs entdeckten.
Als sie, die Waffen im Anschlag, die Sportplätze passiert hatten, lösten sich die beiden Jungen aus dem Schatten des Generatorschuppens und schlichen geduckt zur Rückseite des Internats. Sie hatten Glück, der Hintereingang der Küche stand noch offen. Sie schlitterten über die Fliesen und warfen durch das Bullauge der Verbindungstür einen Blick in den Speisesaal, der noch immer leer und verlassen, ein eingefrorenes Bild aus gestapelten Stühlen und verschobenen Tischen bot. Die Tür zum Saal war verschlossen.
»Der Tresen… du zuerst, ich -halte die Klappe« Garry packte die Klappe, die das Geschirrband mit dem Speisesaal verband und stemmte sie nach oben.
»Das ich das noch erleben darf..« Zlatko grinste ihm zu, ehe er sich auf das Band legte und durch die Luke hindurch robbte. Mit einem Ruck verschwanden seine Füsse und er war drüben.
»Zlad?« Garry wollte grade selbst auf das Band steigen, als ihn ein Geräusch innehalten ließ. Ein dumpfer Aufschlag. »Zlad…? Ich komme jetzt …« Er öffnete abermals die Klappe und spähte hinaus. Eine Hand schnappte nach seinem Arm und versuchte ihn durch die Luke zu ziehen. In Panik griff Garry nach einem Messer, das in einem Geschirrkorb neben dem Transportband lag und stach es in den Handrücken seines Angreifers. Ein Schrei.
»Garry hau ab! Hau a-« Ein Schuss dröhnte und Zlatkos Stimme wurde abrupt abgeschnitten.
»ZLAD!!!!« Garry rannte zum Bullauge der Küchentür und blinzelte voller Angst hindurch. Er sah zwei Männer, einer hielt eine Waffe. Der andere riß eine der Stoffservietten auseinander, die neben dem Tellerstapel lagen und begann seine blutende Hand damit zu verbinden. Am Boden lag regungslos ein Schatten. Der verletzte Mann verpasste ihm einen Tritt an den Kopf und ließ den Schatten herumrollen. Zlatkos Augen starrten blicklos ins Nichts. Blut rann aus seinem Haaransatz.
»Nein!«
Garry erkannte einen der Kerle wieder. Es war der Blonde, breitschultrige, der Tom aus dem Bus geführt hatte. Der Mann entdeckte ihn und kurz darauf zersplitterte das Glas des Bullauges und ein Querschläger brachte einen Stappel Schüsseln zum Absturz, die in tausend Teilen auf den Fliesen zerschellten.
Garry konnte haarscharf ausweichen, er saß zusammengekauert am Boden
»BIST DU BEKLOPPT! PACK DAS DING WEG! WIR BRAUCHEN IHN LEBEND!«
»Du hast gesehen was er mit Martin gemacht hat!«
»Der Boss scheisst auf Martin! Wenn du den Jungen umlegst kannst du dir auch gleich selbst ‘ne Kugel geben.«
Garry zitterte. Zlatko war… Er war wie gelähmt. Er sollte abhauen, wegrennen, solange noch eine massive Stahltür zwischen ihm und den Männern war. Doch er hockte nur als elendes Bündel, die Hände um die Beine geschlungen, neben einem Geschirrschrank. Erst ein weiterer herabscheppernder Teller löste die Erstarrung.
»KOMM RAUS POPPERS. Wenn du deine Freunde nochmal sehen willst.«
»FICKT EUCH!«
»Das ist ja wohl eher euer Gebiet. Los jetzt. Komm da raus.«
Ein weiteres Geräusch. Garry robbte sich unterdessen am begehbaren Eisschrank vorbei, auf die Ausgangstür zu. Er warf nocheinmal einen Blick auf die Tür, hinter der er jetzt Bewegung erkannte.
»Ohhh Garryyy…«, erklang eine flötende, hämische Stimme von einem der Männer. »Garryyy hilf mir…«
In dieser Sekunde erschien Zlatkos Gesicht im Bullauge. Ausdruckslos. Eine Blutspur rann von seiner Schläfe, seine Wange hinab bis zum Kinn. Der blonde Mann hielt Malejoys leblosen Körper wie eine Puppe, eine Hand in den Haaren am Hinterkopf verkrallt.
»Komm schon Garry… komm her.. ich brauchs mal wieder so richtig. Rette mich vor den bösen Männern… Oh GarryGarry… komm her besorgs mir… Garrry…« Zlatkos Kopf schwankte hin und her, sein Blick leer.
»Lasst ihn in Ruhe… Lasst ihn… Ich… Komme raus aber lasst ihn… « Garry hasste sich für seine winselnde Stimme, doch der Anblick Zlatkos hatte ihn jeglicher Kraft beraubt. In seiner Brust brannte ein heißer, tauber Klumpen der jede Hoffnung und Stärke aus seinem Körper saugte. »Ich komme raus.. aber bitte….«
Garry stand auf. Seine Beine zitterten. Wieder ertönte die Fistelstimme des Mannes.
»Oh komm her, mein edler Ritter… komm her…«
Ohne Nachzudenken hatte Garry die Waffe des Busfahrers aus seiner Jacke gezogen. Oder eigentlich aus Zlatkos Jacke, die dieser ihm auf der Fahrt gegeben hatte. Sein Blick fixierte immer noch Malejoys Gesicht, das als gespenstisch blasse Maske in das runde Fenster der Küchentür gepresst wurde. Scherbenreste der zerschossenen Scheibe standen spitz aus den Seiten und ritzen in die Haut des Jungen.
»Komm her.. Komm her zu mir….«
Garry ging wie in Trance auf die Tür zu. die bösartige Stimme des blonden Mannes, füllte die ganze Welt aus.
Zlatkos Blick wurde für eine Sekunde klar und seine Augen richteten sich auf Garry.
»hau ab… lauf….« flüsterte Zlatko als er auch schon nach hinten gerissen wurde. Ein Schlag war zu hören. Noch einer.
»Hör auf, du bringst ihn um!«
»Scheiss auf den Bastard, der Boss will Poppers! Und den hol ich mir jetzt«
Garry hörte noch einen Schlag und kurz darauf presste sich das Gesicht des Mannes ins Bullauge.
»Showtime!« grinste der blonde Kerl. Dann explodierte er in einer Wolke aus Rot.
Der Knall war ohrenbetäubend und die Wucht des Rückstoss ließ Garry zurücktaumeln. Für eine Sekunde sah er noch das grauenhafte Gesicht im Bullauge, ehe es nach unten wegsackte. Dann hörte er nur Türenklappen. Er wirbelte herum und stolperte in Richtung der Ausgangstür, hinaus in den Garten und sah den Angreifer erst als es schon zu spät war.
Ein Schlag riß ihn von den Füssen.
Ehe es Dunkel wurde erkannte er noch weitere Beinpaare die sich auf ihn zubewegten.
»Die Waffe, nimm ihm die Waffe ab!«
Dann versank die Welt in Schwarz.

Garry Poppers: Kapitel 42

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Okay. Diesmal keine langen Worte oder Entschuldigungen für die viel zu lange Wartezeit. Nur ein Dank an alle, die immer wieder nachfragen und Garry Poppers über die Jahre die Treue gehalten und positives wie konstruktives Feedback gegeben haben. Danke dafür.

Wer nicht weiß worum es geht, dem sei dringend geraten bei Kapitel 1 anzufangen, denn wer jetzt neu zusteigt wird wohl sonst nichts kapieren. Allen die schneller einsteigen wollen oder die seit dem letzten Kapitel nochmal ihr Gedächnis auffrischen wollen, dem sei wie immer die Zusammenfassung “Garry Poppers… the story so far” empfohlen.

Und jetzt, viel Spaß mit dem neuesten Kapitel von Garry Poppers, dessen Reise sich so langsam dem Ende nähert.

Das Reden der Anderen

Durch Klebeband, dass seine Augen abdeckte, blendete ihn das Licht. Gezielt. Grell, weiß und beissend. Frass sich in sein Gehirn, das schmerzhaft pulsierte.
»Ist er wach?«
»Grad so. Soll ich ihn-«
»Danke, ist in Ordnung. Ich komme zurecht.« Eine bekannte Stimme. »Sehen sie nicht aus wie kleine Engel, wenn sie schlafen.«
»Der Engel und seine Drecksbande haben fünf Menschen auf dem Gewissen. Falls sie sowas überhaupt besitzen. Drei Kollegen sind tot. Der Bengel-«
»Danke.« Die Stimme unterbrach den anderen Mann freundlich, aber unzweideutig.
Ein Türenklappen.
Etwa berührte ihn an der Schläfe. Garry wollte zurückzucken. Ein brennender Schmerz, ein Ratschen, als ihm das Gaffatape von den Augen gerissen wurde. Die Halogenlampen blendeten ihn jetzt direkt. Er wollte ausweichen, doch sein Bewegungsspielraum war zu gering. Mit Handschellen an den Stuhl gefesselt, hockte er an einem glatten Resopaltisch, es roch nach Lösungsmitteln und altem Staub.
Der Mann war nur als Silhoutte zu erahnen, so sehr Garry sich auch bemühte, er konnte nichts sehen. Getrocknetes Blut hatte ihm die Wimpern zusammengeklebt. Seine Augen brannten.
»15 Jahre sind eine lange Zeit Junge.«
»Was?« Garrys Stimme klang krächend seine Lippen öffneten sich nur mühsam. Sein Mund schmeckte nach Kupfer.
»Brandstiftung. Schwere Körperverletzung. Totschlag. Das sind mindestens 15 Jahre. Wenn der Richter dich so davonkommen lässt. «
»Wo-wovon redn Sie«, Garry räusperte sich und schluckte einen großen Klumpen Schleim herunter.
»Von dem was du und deine kleine Freunde angerichtet haben. Der Anschlag auf die Schule. Erpressung von Lehrkräften. Deine ganzen kleinen Streiche in diesem Schuljahr sind da noch nichtmal eingerechnet… Anstiftung zum ungehorsam. Beschädigung von Schuleigentum. Und dieser grausame Streich, der den kleinen Sascha das Leben kostete…«
»Ich…«Garry fehlten die Worte.
»Garry ich weiß nicht ob du dir über den Ernst der Situation klar bist. Das ist schon lange kein Spiel mehr, was du und deine kranken Freunde sich da ausgedacht haben. 15 Menschen sind tot. Tot. Geht das in deinen Kopf?«
»Ich.. ich hab… niemanden…«
»Niemanden? Erzähl das den Familien der drei Beamten die heute nacht gestorben sind. Erzähl das deinem Rektor, dessen Internat du zerstört hast! Was geht in deinem Kopf vor Garry, ganz ehrlich, ich kapier es nicht? WAS GEHT DARIN VOR?«
Der Mannst stützte sich auf dem Tisch auf, und stand vornübergebeugt, so nah, dass Garry fast die Gesichtszüge erkennen konnte. Der Junge fror und schwitzte gleichzeitig. Schweiß rann ihm in die Augen und er merkte das er zitterte.
»Was wollen Sie von mir… Ich wollte nur-«
»WAS WOLLTEST DU? Ganz ehrlich, erklär es mir, denn ich verstehe es nicht. Was habt ihr mit der Aktion bezweckt? Wolltest du dich an den Lehrern rächen? Ab deinem Onkel? Du hast St. Constantine von Anfang an gehasst, war es das?«
»Nein, ich… Sie verdrehen alles! Ich wollte die Schule retten, ich wollte Tom retten…. ich-«
»Retten wovor? Was hatten du und der kleine Malejoy mit ihm vor? Sollte er eine Sonderbehandlung bekommen? So wie Sascha und der Harber-Junge? Wollte er aussteigen? Hat er gedroht euch zu verraten? Wollte er euer mieses Spielchen nicht mehr länger mitmachen? War es das? WAR ES DAS?«
Der Mann stand jetzt hinter Garry. So dicht zu ihm heruntergebeugt, dass der Junge dessen Atmen an seiner Wange spürte.
»Du erträgst es nicht, wenn dir jemand widerspricht. Ist es nicht so?«
Die Hände des Mannes legten sich auf seine Schultern. Garry verkrampfte sich unwillkürlich.
»Das macht alles keinen Sinn. Rufen Sie Fumblemore… er wird ihnen bestätigen-«
»Fumblemore? Garry, was glaubst du wer uns eingeschaltet hat? Euer Rektor hat endlich eingesehen, wer wirklich hinter den ganzen Anschlägen steckte. Du warst immer in der Nähe, wenn etwas passierte. Komisch, nicht wahr? Wo warst du als Paul sich die Arme aufschlitzte? Alle waren bei dem Spiel in der Sporthalle? Nur du… Und wer war als letzter im Internat vor der Explosion? Du! Wieder ein merkwürdiger Zufall, nicht?«
»Sie verdrehen alles! Van Gey hat-!« Garry versuchte sich umzudrehen, doch die Hände des Mannes hielt ihn fest. Es roch nach Pfefferminz und Nelken.
»Van Gey! Was haben du und Malejoy mit ihm angestellt? Ist er euch drauf gekommen? Wollte er euch hindern-«
»Sie hören mir gar nicht zu! Sie verstehen nicht-!«
»NEIN GARRY! DU VERSTEHST NICHT!« Für eine Sekunde lag die Hand des Mannes um seinen Hals und drückte ihm die Luft ab. »Du verstehst NICHTS. GAR NICHTS! NICHTS GEHT IN DEINEN DUMMEN SCHÄDEL REIN!«
Garry warf sich hin und her. Sein Stuhl geriet ins Schwanken. Plötzlich ließ ihn der Mann los und für eine Sekunde fühlte sich der Junge beinah schwerelos, als sich sein Horizont verschob und die Wand gegen die Decke trieb. In derselben Sekunde als er realisierte, dass sein Stuhl umkippte, schlug er auch schon mit dem Kopf hart auf den Holzboden.

Das letzte was er mitbekam, war der Schatten des Mannes, der zur Tür ging und den Raum verließ.
»Bringen Sie ihn zurück… Er wird noch reden. Geben Sie ihm noch eine Dosis.«

***

Es war alles irreal. Die Zelle in der er saß. Ein grauer Raum. 5×7 Schritte groß. An der Decke surrte eine Neonröhre. Keine Fenster. Eine metallene Tür aus mattem Chrom. Seine Gedanken schwammen. Garry wollte sich konzentrieren. Fokus. Fokus. Wie lange war er schon hier? Seine Erinnerungen tanzten immer knapp ausserhalb seiner Reichweite.
Konkrete Gedanken waren wie glibschige Luftballons, die ihm immer dann entglitten, wenn er seine Arme ausstreckte und nach ihnen griff.
Das Licht brannte in den Augen. Es war schon so spät. Gleich würde wieder das Licht verlöschen.
Konzentrieren.
Kon
Zen
Trie
Ren

Der Junge versuchte sich langsam an seine Erinnerung heranzupirschen. Die Realität in kleinen Fragmenten zu begreifen. Fokus. Er trug noch immer die Ringe von Handschellen deren Kette zerbrochen war. Seine Kleidung war… Er trug ein grobes, blaues Hemd und eine Hose aus kratziger Baumwolle. Die Hose war zu kurz. Wenn er zwischen den angewinkelten Beinen auf seinen Knöchel sah, erkannte er einen Verband mit rotbraunen Flecken. Darunter Schuhe. Seine Schuhe. Lehm war zu einer grünbraunen Dreckschicht getrocknet.
Details. Es war wichtig sich auf Details zu konzentrieren. Die Wahrheit lag in den Details.

Garry zupfte am Verband und sog zischend Luft ein, als er festgeklebte Beinhaare und Schorf abriss. Es blutete wieder ein bißchen. Der Schmerz schien für Sekunden eine Schneise in den Nebel zu schlagen, der seine Erinnerung war. Einzeller. Leben in seiner Zelle. Bis sie wieder kamen ihn zu befragen. Fragen nach-
Was hatte er getan?

Du hast deine Freunde umgebracht. 15 Menschen sind tot, Garry. Die Explosion. 15 Menschen. Denk doch einmall nach. War es das wert! All deine Freunde Garry.

Nein.

»Garry!«

Garry riss erneut am Verband an seinem Bein, der Schmerz war exzellent. Der Junge stieß einen Schrei aus.

»Garry… wach auf!« Eine bekannte Stimme. Garry öffnete die Augen und ignorierte den pochenden Schmerz der sein Bein entlangpulste und ihn klarer denken ließ. Jemand zog an seinem Arm. Schwach. Die Tür. Sie stand offen.

Ein vertrautes Gesicht schob sich in sein Blickfeld. Zlatko. Er half Garry auf.
»Zlad? Ich dachte sie haben dich-«
»Schsch. Du bist eingepennt. Komm jetzt.«
Unsicher stand der Junge auf. Seine Beine kribbelten.
»Wir müssen hier weg…«

Zlad war okay. Ein paar Schrammen, aber ansonsten okay. Garry klammerte sich an die Hand des Freundes und folgte ihm aus dem grauen Raum. Sie standen in einem langen Flur. Der Heizungskeller der Schule. Sie mussten hier raus. Er war nicht in einer Polizeistation. Es war St. Constantine. Die ganze Zeit. Die ganze Zeit. Zlad lief schneller den Gang hinauf und Garry musste sich anstrengen ihm zu folgen. Der Gang erstreckte sich weit vor ihnen. Graue Plastikrohre durchzogen die Decke und schutzgitterumfasste Lampen warfen gelblich Licht.
»Komm Garry….«
»Nicht so schnell… mein Bein…« Garry erinnerte sich wieder an den Busfahrer, der ihm einen langen Schnitt oberhalb des Knöchels verpasst hatte. Erinnerte sich wieder an den Bus, der den Hang hinabrollte.
Zladko war voraus gerannt, sie mussten hier aus dem Keller raus, ehe die Polizei zurückkam.
Ehe sie kamen. Garry mühte sich dem anderen Jungen zu folgen und blieb doch immer weiter hinter Malejoy zurück.

Der Boden war matschig. Es kostete ihn Mühe vorranzukommen. Jeder Schritt kostete Kraft. Soviel Kraft. Seine Beine zitterten. Garry sah nach unten und erkannte das es nicht Schlamm war, der ihm das Fortkommen erschwerte. Es waren Körper. Er lief über Körper, die er mit jedem Schritt weiter in eine braunrote Masse trat. Leiber. Gesichter. Garry erkannte Paul Harbers Gesicht, das unter seinem Tritt wegrutschte, daneben Tom. Daneben Zlatko.
Unmöglich. Zlatko lief vor ihm. Garry starrte nach vorne in den Tunnel der immer länger und länger wurde. Im Gegenlicht war nur noch ein Schattenriss zu erkennen.

Es war nicht Zlatko. Es war Benjamin.

»Komm schon Poppers was ist! Du gehst doch sonst auch über Leichen…«

Es war Ben.

Ben der neben ihm hockte. Ben der ihn am Arm hielt und mit sich zerrte.

»Hier lang. Schnell.«

Das Licht wurde heller. Garry stolperte benommen hinter Ben her, auf das grelle Leuchten zu. Der Gang mündete in ein Abwasserrohr und dort hinten war der Ausgang zu erkennen. Ben krabbelte schon hinaus. Eine Böschung hinauf. Garry rutschte mehrmals ab, doch schließlich…

Er stand auf einer Strasse. Ben war verschwunden. Es regnete und roch nach altem Laub. Entfernt rumpelte Donner und Blitze ließen den milchigen Himmel kurz aufglühen. Lichter.

»Pass auf, der Lastwagen!« Jemand riß ihn zur Seite und Garry spürte noch wie er Straßengraben landete. Hörte Hupen und das Quietschen von schweren Reifen auf nassem Asphalt.

***

»Garry? Verdammt was tust du da! Steh auf!« Er wurde an der Schulter gepackt und auf die Beine gezogen. Er kannte die Stimme. »Steig ein. Jetzt mach schon. Und leg dir die Decke da unter, sonst ruinierst du mir die Rücksitze.«
Der Wagen fuhr an. Garry sah die Landstrasse zurückbleiben. Rechts hinter der Böschung lag die Mauer, die St. Constantine vom Zufahrtsweg trennte. Er drehte sich nach vorne um. Versuchte im Rückspiegel das Gesicht des Fahrers zu erkennen. Kein Zweifel. Es war Onkel Sermon.
»Onkel… was.. wie kommst du- was machst du hier?«
»Wir hätten dich nie dort hin lassen sollen. Ich hab es immer gesagt, aber deine Tante wollte ja nie hören…«
»Was…« Garry versuchte seine Gedanken zu ordnen.
»Verdammtes abartiges Gesindel. Wir haben alles gesehen- Was sie dort getrieben haben mit euch! Es war alles in den Nachrichten.«
»Ich muß… «
»Peverses Gesindel. Es war alles in den Nachrichten, Garry.« Onkel Sermon drehte sich um und sah ihn mit dunklen Augen an. Er fuhr schneller und Regen spritze aus einer Pfütze am Strassenrand auf. »Ich hab immer gesagt, ein kathlisches Internat, das wäre es gewesen, aber nein, deine Tante musste ja auf dieses Schreiben antworten.« Sein Onkel nahm eine Kurve. Schnell. Er fuhr viel zu schnell. »Herausgeforderte Schüler. Ich werde dich herausfordern Junge, oh ja. Ab jetzt ist Schluß mit Tuntenspielchen und Ringelpitz. «Ein entgegenkommender Wagen musste ihnen ausweichen und raste mit schrillem upen an ihnen vorbei. »Ich hab eurem Rektor gesagt, ich lasse dich keine Sekunde länger in dieser Schule. Garry. Ab jetzt gibt es Disziplin. Rohrstock. Jeden Tag. Rohrstock. Jeden Tag. Jeden Tag«
Die Bäume der Allee nur noch verwischte Striche.
»Das Einzige was du verstehst. Jeden Tag. Rohrstock. Jeden-«

Garry öffnete die Seitentür und sprang aus dem Wagen.

***

Als er die Augen wieder öffnete, sah er dreckige Fliesen. Nur unwillig kam die Welt zurück in Fokus. Es roch nach Kupfer und Sagrotan.
St. Constantine. Er lag auf dem Boden der Krankenstation. Der Raum ragte verkantet in sein Blickfeld. Ein Schrank lag umgeworfen zwischen Eingang und den Krankenbetten. Sein Inhalt war über den Boden verstreut.
Die Schiebetüren waren geschlossen.
Garry sah an sich herab. Er war nackt. Er versuchte sich aufzurichten, doch sein Arme knickte ihm weg. Ein Schlauch.
Aus seiner rechten Armbeuge ragte ein Schlauch, der über ihm in einer Infusionshalterung mündete. Die Flüssigkeit im Plastikbeutel schimmerte hell-bläulich.
Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, die Nadel aus seinem Arm zu ziehen. Dunkles Blut spritzte über die Fliesen. Garry griff nach dem Infusionsständer und begann sich daran hoch zu ziehen. Langsam. Griff um Griff gelang es ihm, doch sein unwilligen Beine knickten immer wieder um. Verdammt, konzentrier dich. Es ist nur in deinem Kopf. Es ist nur… Sein Kopf wurde ganz leicht und er spürte einen sauren Geschmack auf der Zunge. Im letzten Moment gelang es Garry sich herumzudrehen, als ein dünner Strom Magensäure seine Kehle hinaufschoß. Er kotzte neben eine der Hydrokulturpflanzen am Fenster. Er wünschte er hätte mehr im Magen, doch es kam nichts. Sein dünner Leib zuckte unter mehrfachem erfolglosem Würgereiz zusammen. Er stützte sich keuchend an den Infusionsständer, zwang sich durchzuatmen.

Immerhin war sein Kopf etwas klarer und das Zittern in den Beinen ebbte langsam ab. Der Junge stützte sich am Bett ab und balancierte dann vorsichtig zum Waschbecken, neben dem Medikamentenschrank. Vorsichtig mied er die herumliegenden Pillenrollen, Scheren und Spritzenpackungen. Am Waschbecken angekommen, drehte er das kalte Wasser auf und wusch sich das Gesicht, spülte den Mund aus, wischte das Blut aus seiner Armbeuge. Auf dem matten Metalltresen lag eine angebrochene Packung mit Ampullen und eine offfensichtlich benutzte Spritze. Trapanal stand auf den beiden leeren Fläschchen. Was hatten sie ihm…?
Erst jetzt bemerkte er erst die Sirenen die näher kamen. Die hektischen Schritte vor seiner Tür. Nachdem ihn seine Beine wieder halbwegs trugen, wagte er sich zur Tür vor. Er versuchte sie aufzuschieben, doch obwohl die beiden Hälften nicht verschlossen waren, ließen sie sich nicht aufdrücken.
»Wir müssen ihn mitnehmen… Mort-«
»Komm verdammt!«
Die Stimmen verschwanden. Dann ertönte ein Krachen, das Bersten von Holz. Garry zuckte unwillkürlich zusammen und trat einen Schritt zusammen, als kurz darauf an den Schiebetüren gerüttelt wurde.
»Hier ist zu… da ist eine Kette um die Tür, ich hole den-«
Etwas krachte und die Türhälften flogen auseinander. Als Garry es wagte hinter dem umgekippten Schrank hervorzulugen, sah er einen Polizisten mit einer massiven Notfall-Axt im Türrahmen stehen. Der Mann trat einen Schritt auf ihn zu.
»Ich hab den Jungen!«
Garry stieß sich vom Schrank ab und sprintete an dem Mann vorbei. Benommen lief er den Gang hinunter, der Mann mit der Axt folgte ihm. Zur Tür, er musste zur Tür.
Er prallte gegen den schwarzen Brustpanzer eines weiteren Polizisten und stürzte. Strampelte. Krabbelte rückwärts und versuchte wieder auf die Beine zu kommen, bis sein Kopf mit den Beinen des Axtmanns kollidierten. Er starrte nach oben.
Der Mann ließ die Axt fallen und griff nach Garry.

***

Er lag in einem Bett. Schon wieder. Blinzeln. Sein Kopf fühlte sich an wie mit Helium aufgepumpt. Jemand stand an seinem Bett. Der Junge blickte zur Seite und erkannte die Infusionsnadel die wieder in seiner Armbeuge klebte. Er griff danach und wollte sie herausziehen, doch eine Hand stoppte ihn.
»Nicht Garry, du brauchst das jetzt. Es hilft dir dich zu regenerieren.«
Aus weichgezeichneten Umrissen wurde eine Person. Fumblemore. Sein Rektor nahm seine Hand um drückte sie kurz.
»Er ist wach. Sagen sie Doktor Maynard Bescheid.« Der alte Mann wandte sich Garry zu. »Ich bin so froh, dass wach bist. Du hattest soviel Glück… Wenn die Polizei nicht rechtzeitig gekommen wäre…«
»Polizei? Aber die gehören zu Mort, sie haben- «
»Nicht die Spezialeinheit. Mort hatte nur einige der lokalen Beamten hier unter seiner Kontrolle. Nachdem Rape und Fagrid entkommen sind, haben sie endlich reagiert und eine ganze Einheit geschickt um dort nachzusehen. Mort und seine Truppe konnten abhauen, als sie die Einsatzwagen kommen hörten.«
»Was ist mit Tom? Was ist…« Garrys Stimme brach weg. Sein Mund fühlte sich taub und wie mit Watte gefüllt an. Erst jetzt bemerkte er den Verband, der von seiner Wange bis hoch zur Schläfe lief und ein Teil seines linken Auges verdeckte. Er griff danach, doch Fumblemore hielt sein Hand zurück.
»Nicht Garry. Es ist okay. Nur ein paar Kratzer. Ein paar Stiche. Du hattest viel Glück… das Thiopental- es wird keine bleibenden Schäden hinterlassen. In ein paar Tagen bist du wieder so gut wie neu. «
»Thiop- was? Was ist mit den Anderen? Was ist mit-«
»GARRY!« Eine bekannte Stimme dröhnte von der Tür her zu ihm herüber. Fagrid. Garry spähte an seinem Rektor vorbei, Schmerzen durchzogen seine Brust, als er sich aufsetzte. Fagrid trug selbst ein Krankenhausnachthemd. Auch sein Gesicht war mit zwei Verbänden oberhalb der Stirn bedeckt. Der große Mann wuchtete sich aus dem Rollstuhl in dem er gekommen war und hinkte, sich an der Wand abstützend zu Garry rüber. »Junge du glaubst nicht wie froh ich bin dich zu sehen. Bist du okay…«
Die Pranken des Mannes griffen überraschend sanft nach dem Gesicht des Jungen, drehten es links, dann rechts, bis Fagrid schließlich zufrieden nickte.
»Als sie dich reinschleppten, dachte ich das wars. Wie konntest du nur mit diesem Malejoy mitgehen! Morts Leute haben doch nur drauf gewartet, dass du wieder dort reingehst…«
»Zlatko hat mich-«
»Es war eine Falle. Wir wissen es. Du mußt jetzt nicht darüber reden Garry. « Fumblemore strich Garry über die Schulter. »Es ist meine Schuld, ich hätte wissen müssen das mit Leander etwas nicht stimmt. Es war mein Fehler Garry.«
»Wie konntest du nur so dumm sein! Du wusstest das dich der Kleine in eine Falle locken will und du rennst ihm nach!« Fagrid ignorierte den Rektor und schaute Garry ernst an. »Es tut mir leid, das ich dich nicht beschützen konnte. Es tut mir leid, dass ich euch nicht schützen konnte… Julian und ich, wir haben alles versucht… «
»Julian hat sich feige verkrochen«, flüsterte Garry. »Zlatko hat mich und Tom gerettet. Er hat-«
»Ruhig Garry. Du mußt dich ausruhen.
»Wo ist Tom! Was.. ist was ist mit Zlatko? Moany… was ist…«
Fumblemore senkte kurz den Blick, ehe er Garry in die Augen schauen konnte.
»Du hast genug getan. Ohne dich wären Dani, Pit und all die anderen nicht entkommen. Du konntest nicht alle retten, Garry.«
»Was ist mit Tom und Hermoaning?« Garry hatte sich aufgesetzt und starrte zwischen Fagrid und seinem Rektor hin und her.
»Wir wissen es nicht.« Fagrid sah beschämt aus.
»Sie haben niemanden gefunden in St. Constantine. Im Moment wird grade Morts Waldhütte durchsucht, aber sie haben keine Spur von ihm. Nur ein paar der Beamten, die für ihn gearbeitet haben wurden tot aufgefunden. Und Leander. Sie haben ihn an einer Raststätte gefunden…«
Für eine Sekunde sah Garry das Gesicht seines ehemaligen Lehrers. Der erstaunte Ausdruck, als ihr Wagen ihn erwischt und gegen das andere Auto gequetscht hatte.
»Wir… er wollte uns- Sie haben… Sie haben Paul und Francis…« Garry merkte wie ihm Tränen die Kehle zuschnürten. Er wollte jetzt nicht heulen. »Van Gey hat bekommen was er verdient hat.«
Fumblemore sah unwohl von Garry zu Fagrid. Zurück zu Garry.
»Es… es wäre besser, wenn ihr der Polizei gegenüber diesen Teil eurer Odyssee nicht erwähnt. Wir haben auch so schon genug Fragen, die schwer genug zu beantworten sein werden.«
»Sie haben unsere Schule angegriffen… sie haben eine Bombe gelegt, sie haben einen Schulbus entführt… sie haben Zlaktko… und Tom…« Garry sah wieder seine Freunde vor sich. Zlatkos blutiges Gesicht, das ihn durch die Küchentür anstarrte. Tom wie er von Morts Handlangern und Ben abgeführte wurde…
»Es braucht Zeit. Garry es wird sich alles klären, aber es braucht Zeit. Du musst dich ausruhen.«
»Mein Jungelchen.« Fagrid strich Garry nochmal über den Kopf. »Alberich hat Recht. Komm erstmal wieder auf die Beine. Das wichtigste ist das du lebst.«
»Was nützt es wenn ich lebe, aber alle anderen… alle anderen sind…«, Garry hasste seine dumme weinerliche Stimme und wischte sich zornig über die Augen. »Ich weiß nichtmal was Mort eigentlich von mir wollte… die ganzen sinnlosen Fragen… wieso hat er mich nicht umgebracht, als er es konnte? «
»Vielleicht kann ich erklären.« Eine Stimme drang aus dem Halbdunklen des Raumes. Garry erkannte nur die Silhouette einer Person. Wie lang hatte sie schon dort gestanden und alles mitangehört?
»Garry braucht seinen Schlaf.« Fumblemore wirkte mit einem Mal unruhig und hektisch. »Jetzt ist nicht die Zeit für-«
»Was Garry braucht sind Antworten«, sagte die Person im Schatten. »Alberich, bitte laß uns alleine. Ich denke ich schulde meinem Sohn eine Erklärung.«

Die Figur trat auf das Bett zu und blickte den Jungen an.
»Es tut mir so leid, Garry.«

+++

Fortsetzung folgt

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