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Garry Poppers 40

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Mit wenigen Tagen Verspätung, anah an “Ende Februar”, kommt hier jetzt das von vielen immer wieder angefragt neue Kapitel von “Garry Poppers”. Und ehe ihr es falsch versteht: Ich freue mich über jede Nachfrage, denn mittlerweile gibt es ja doch so einige regelmässige Leser, die Garry über die Jahre treu geblieben sind und es kommen immer wieder neue hinzu.

Für alle Neueinsteiger, hier wie immer der Hinweis auf das allererste Kapitel von Garry Poppers und natürlich der Hinweis auf die Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse, als kleine Gedächnisstütze für alle die nach der langen Pause wieder reinkommen wollen: The Story so far… findet sich hier.

Wie immer danke an alle die mitgehen um die seltsamen und mittlerweile doch sehr dunklen Erlebnisse von Garry und seinen Freunden zu verfolgen und danke auch für euer Feedback, Anmerkungen und die Ermunterungen weiterzuschreiben, was jetzt, da das Ende der Geschichte so langsam in Sicht ist, nicht immer leicht fällt. Doch genug Gequatsche, ich wünsch euch mal wieder viel Spaß beim mittlerweile 40. Kapitel…

A rock and a hard place

Vor ihnen lag die schwach erleuchtete Silhoutte von Kockshead. Garry stieß Zlatko an, der ans Seitenfenster gelehnt eingedöst war. Er selbst hatte nur für eine knappe Stunde die Augen schließen können und trotz Toms Versicherung, es sei alles okay, nicht wirklich Ruhe gefunden. Jetzt standen sie auf einer kleinen Anhöhe, nahe der Autobahnausfahrt und konnten noch immer Rauchschwaden sehen, die dort in den Vorboten der Dämmerung aufstiegen, wo sich St. Constantine verbarg. Es mochte viertel nach 5 sein sein, wenn die kleine Digitaluhr im Amaturenbrett richtig ging.
Bis sechs hatte Mort ihnen Zeit gegeben. Von ihren Verfolgern, dem lädierten Mercedes fehlte auch weiterhin jede Spur. Entweder waren Ben und sein Muskelmann zurückgepfiffen worden oder der Wagen hatte letztlich doch schlapp gemacht.
»Irgendwelche Vorschläge?«
»Wir drehen um und retten uns?»
Tom sah Zlatko an und wollte etwas erwidern, doch der hob beide Hände.
»War nur Spaß.«
»So lustig.«
Garry hörte ihnen kaum zu. Er starrte auf die Rauschwaden und die Silhoutte der Stadt.
»Fahr los.« Er nickte Tom zu.
»Was hast du vor? «
»Die Schule retten.«
»Guter Plan.« Malejoy wechselte einen vielsagenden Blick mit Tom. »Du hast auf dem Schirm, das wir zu nur zu dritt sind… und nicht grad topfit?«
Tom drehte den Zündschlüssel und ließ den Motor aufröhren. Mit einem Sprung nach vorn, ruckte der Kastenwagen zurück auf die Strasse. In Richtung der kleinen Stadt.

»Wer sagt das wir zu dritt gehen?«

***

Garry fror erbärmlich. Ihm blieben noch dreissig Minuten. Mit dem Leatherman-Messer kappte er die Vertäuung eines kleinen Bootes im winzigen Hafen von Kockshead. Nicht weit von ihm lag der kleine Butterdampfer, mit dem sie vor Monaten ihre erste Reise nach St. Constantine unternommen hatten. Damals war alles noch neu und aufregend erschienen. Freigetränke und billigen Nippes. Damals kannte er Tom und Moany kaum, war Malejoy aus dem Weg gegangen. Jetzt lag der See in der Dämmerung vor ihm, in der Entfernung lagen die Zinnen von Cockwarts, aus denen nur noch wenig Rauch aufstieg.
Der Junge sprang in das kleine Ruderboot und stieß sich vom Kai ab. Ruderte mit langen Schlägen über das nebelverhangene Wasser, dessen klamme Feuchtigkeit ihm in die Kleider kroch und den Atem gerinnen ließ.
Garry versuchte nicht an Tom und Zlatko zu denken. Nicht an das Ungewisse das vor ihm lag. Mit jedem Zug an den Rudern verschwand die Stadt weiter im Nebel, näherte er sich dem waldigen Ufer am Fuße der Anhöhe, auf der das Internat lag.

Er erreichte das andere Ufer (der Gedanke machte ihn unwillkürlich Grinsen) mit einem unsanften Ruck, als das Boot mit sandigem Knirschen am steinigen Strand auflief. Garry überlegte kurz es zu verstecken, doch das würde nur unnötige Zeit kosten. Und überhaupt, welchen Sinn machte es für eine ungewisse Rückkehr zu planen. Vielleicht würde ihm wenigstens seine Ankunft von der Seeseite einen kleinen Vorteil bringen, Morts Leute würden ihn sicher über den Vordereingang oder die Lieferzufahrt erwarten. Wobei der Haupteingang noch immer abgesperrt war, bewacht von einem einzelnen Streifenwagen.

Als Garry sich durch den kleinen Wald näherte und Cockwarts besser erkennen konnte, war er fast erstaunt, wie wenig man dem Gebäude ansah, daß es Schauplatz einer Bombenexplosion gewesen war. Die Türme starkten wie eh und jeh in den Himmel, und äußerlich waren wenige Schäden zu erkennen. Lediglich der Neubau, der die Sporthalle und die Aula beherbergte, schien in Mitleidenschaft gezogen. Fenster blinzelten blind in die Nacht und Ruß hatte die Fassade geschwärzt, es roch brandig. Langsam schob sich der Junge durch die Bäume, abwartend, beobachtend. Unwillig seine Deckung aufzugeben und die Strecke bis den Sportplätzen zu überbrücken, die ihn für einige Momente ohne Schutz den Blicken freigäbe. Er wollte grade loslaufen, als ihn ein Geräusch innehalten ließ. Motorensurren. Ein Auto fuhr die Auffahrt hoch. Ein Mercedes, dessen Windschutzscheibe herausgebrochen war. Aus seinem Versteck erkannte Garry drei Personen die ausstiegen. Ben und sein Gorilla… und Zlatko.

»Laß mich… du Wichser…«
Malejoy wurde von Bens Handlanger am Arm aus dem Wagen gezerrt. Garry versuchte zu erkennen ob auch Tom im Wagen saß doch eine Bewegung am Tor lenkte ihn ab. Ein Mann kam auf Ben zu, er trug eine Uniform. Er deutete eine Verbeugung an. Als er sich mit dem Jungen zusammen dem Auto näherte und ins Scheinwerferlicht trat, erkannte Garry den Einsatzleiter der Polizei, der damals den Brandanschlag auf Fagrids Haus aufgenommen hatte. Der Polzist, der als Brandursache einen durch Sonnenstrahlen entzündeten Whiskeyrest in einer geschliffenen Karaffe notierte. Garry erinnerte sich ihn schon mehrfach gesehen zu haben, nachdem sich die Vorfälle in Cockwarts häuften. Zuletzt hatte er die Evakuierung geleitet. Ben richtete kurz das Wort an seinen Handlanger, der Mann schubste Zlatko zu ihnen herüber. Für eine Sekunde war Malejoy frei, doch sein Versuch sich in den Wald zu flüchten wurde rasch vereitelt. Der Polizist holt ihn mit einem Schlag von den Beinen.
»Hiergeblieben.«
»Poppers kann nicht weit sein. « Ben zerrte den Jungen auf die Beine. »Ist er auch in der Stadt? Was ist, du hast doch sonst immer sone große Fresse, Zlad.«
Der vierzehnjährige stieß Zlatko in die Arme des Polizisten. »Los bring ihn mit rein. Er wird schon reden, ohja das wird er.«

Ben wandte sich ab und bedeutete ihm zu folgen. Der andere Mann bestieg erneut den Wagen und fuhr kurz darauf in Richtung der Sportplätze davon.

***

Garry blieb regungslos geduckt in seinem Versteck hocken, bis das Motorengeräusch verklungen war. Er beobachtete das Internat. Im Hauptgebäude brannte noch Licht, genauso in einigen der Gemeinschaftszimmer. So groß konnte der Explosionsschaden nicht sein, selbst die Überwachungskameras waren noch in Betrieb, ihre roten Augen glommen in den Winkeln des Internatsgebäudes. Zweifellos würde jetzt einer von Morts Männern vor den Monitoren sitzen und beobachten, wer sich dem verwaisten Gebäude näherte. Zumindest dort, wo die Kameras nicht durch die Detonation zerstört waren.

Zwanzig Minuten später ließ sich Garry so leise er konnte an einem Seil in die Turnhalle hinuntergleiten. Es war glitschig vom Löschschaum, die Luft roch nach Chemie und Brand. Ein Teil der Tribüne war eingestürzt und in der Außenmauer der kellertief gelegenen Turnhalle klaffte ein breites Loch. Garry war dort eingestiegen, vorbei an herausragenden Stahlbetonstreben, Schutt und Asche. Vom Rande der noch stehenden Tribüne gelang es ihm das Seil zu erreichen. Mit ihm wollte er sich zur Ausgangstür hinüberschwingen. Doch das Seil war rutschig und die Luft bereitete ihm Kopfschmerzen. Erneut reichte der Schwung nicht und über ihm knarzte die Seilwinde bedrohlich. Noch einmal stieß sich Garry von der verbogenen Ballustrade ab, als der Träger über ihm endgültig nachgab. Der Junge sprang und prallte gegen die Ausgangstür. Hinter ihm krachte die Seilaufhängung zu Boden und riss dabei einen Teil der Decke mit.

Keine Zeit den Schaden zu begutachten. Garry stolperte durch die Ausgangstür, als er auch schon Schritte hörte, die sich näherten. Er spurtete zurück und bog nach links in die Umkleide, dort hatte die Explosion einige der Spindschränke umgeworfen. Eine Neonröhre hing halb von der Decke und flackerte, tauchte den Raum in gespenstische Muster. Garry stolperte ungelenk durch den Raum, schob sich unter einem umgestürzten Schrank hinduch. Ein Seitenblick in die Duschräume zeigte weitere Verwüstungen, Rohre waren geplatzt und feiner Sprühregen rieselte aus dutzenden Löchern, setzte die Fliesen unter Wasser und ließ eine Stromleitung an der Wand funkenstiebend Britzeln. In einem Film hätte Garry sich jetzt die Stromleitung geschnappt und geschickt eine Elektrofalle für seine Verfolger gebaut, doch dies war kein Film und alleine der Gedanke erschien im lächerlich. Die Stimmen kamen näher. Die Tür zur Turnhalle wurde aufgerissen und zeitgleich schob sich Garry durch die Ausgangstür der Umkleide in den Flur, der zur großen Halle führte und den Neubau mit dem Hauptgebäude des Internats verband.

Auch hier knisterte noch immer der letzte Rest des sackenden Löschschaums und verlieh der Luft eine chemische, brandige Note, die das Atmen schwer machte. Garry kämpfte gegen seine Benommenheit an. Wenigstens bot ihm die Dunkelheit ein wenig Deckung, denn auch hier glomm nur noch eine schwache Notbeleuchtung. Er schob sich an der Wand entlang, bis er die Tür zum Treppenhaus ertasten konnte. Kaum daß er es betreten hatte, hörte er die Männer zurückkommen. Der Sechzehnjährige schaffte es sich mit einem Sprung vom eingestürzten Absatz der Treppe ans obere Geländer in den ersten Stock zu ziehen, als auch schon die Tür unter ihm aufflog. Garry blieb mit angehaltenem Atem auf dem schuttbedeckten Boden liegen. Vor seinem Auge hoben sich Putzbrocken und Betonstücke wie Bergrücken ab, vermengte sich Staub und geschmolzener Löschschaum zu einer kalkigen Pampe, die langsam seine Kleidung durchnässte.
»Nichts, du siehst Gespenster! Kommt jetzt, wir sollen die Verbindungstüren zusperren. Dann gibts nur noch einen Weg, wie hier jemand reinkommt.«
Garry kannte die Stimme, aber konnte sie nicht zuordnen. Nachdem sich die untere Tür geschlossen hatte blieb er noch einige Sekunden abwartend liegen, ehe er wagte aufzustehen. Vorsichtig trat er in den ersten Flur, ins große Karee von dem die Gänge zu den vier Häusern, dem Lehrertrakt und den oberen Unterrichtsräumen abgingen. Er schaute vorsichtig über das Geländer nach unten. Im Eingangstor, halb im Schatten verborgen standen zwei Männer. Kurz darauf kamen seine Verfolger von unten dazu. Sie sprachen, aber er konnte keines der verhallten Worte verstehen. Wo sollte er hin? Wieder mal wurde ihm schmerzlich bewusst, das er keinen Plan hatte. Wo würde Mort sein? Wo wären Hermoaning und die anderen? Wie sollte er jemals-
Ein Schmerzensschrei stoppte seine Gedanken. So laut, so durchdringend und gepeinigt, daß Garry schlecht wurde. Zlatko.
Es kam aus der Lernküche. Ohne Nachzudenken spurtete der Junge los, im Gehen hatte er sein lächerlich kleines Messer gezückt und bremste erst ab, als er fast mit der Tür zum Kochsaal kollidierte – die sich just in diesem Moment öffnete. Im letzten Moment schaffte er es auszuweichen und sich in eine Nische neben einem Getränkeautomaten zu quetschen, als die Tür nur Zentimeter von seiner Nase anschlug und ihm die Sicht nahm.
»Ich habe ihn hergebracht, Dad!« Es war Bens Stimme. Sie klang weit weniger selbstsicher, als noch vor wenigen Minuten unten im Hof.
»Ihr habt Poppers entkommen lassen. Malejoy ist unwichtig.«
»Ich wollte von Anfang an nicht dort hin, aber Leander hat gesagt wir bringen ihn-«
»Leander ist tot. Ihr habt versagt. Ihr habt beide versagt. « Die Stimme klang nasal und kalt. Es gab ein Klatschen und Garry realisierte das Ben soeben geohrfeigt worden war.
»Du hast dich erniedrigt für dieses Pack!«
»Aber Dad, Leander… ich hab getan was er gesagt hat. Du warst so lange im Gefängnis…ich wollte nicht.«
»Er kann froh sein das er tot ist. Ihr habt euch alle viel zu gemein gemacht. Ich hab klare Order erteilt und nichts davon wurde-«
»Dad, du bist ungerecht! Die Schule wurde geschlossen! Sieh dich um! Du hast gewonnen! Poppers wird kommen und dann-«
»Er wird kommen? Genauso wie seine Väter, was? Er wird weglaufen und seine Freunde ihrem Schicksal überlassen. Das haben sie damals gemacht…und ihr Sohn wird keinen Deut besser sein.«
Aus der Lernküche drang ein verhaltener Schmerzenslaut.
»Dad, er weiß wo Poppers ist! Er wird reden!« Ben räusperte sich. In seiner Stimme schwang Wut mit, die er zu unterdrücken suchte. »Ich werde ihn zum reden bekommen. Glaub mir.«
Der Mann – Mort – schien zu überlegen. Schließlich grunzte er zustimmend.
»Du hast eine halbe Stunde. Vielleicht bist du ja für irgendetwas gut. «
»Ja Dad. Er wird reden, er wird-«
»Und Ben.«
»Dad, ich werde-«
»Mich interessieren nur Ergebnisse. Keine Erklärungen. Ich bin mit Kommissar Werner unten. Geh jetzt.«
»Ja Dad.«

Etwas von dem was Mort sagte, klang in Garrys Kopf wieder. Er versuchte einen klaren Gedanken zu fassen doch zu spät. Die Schreie gingen wieder los.

***

»Garry NEIN!« Zlatkos Stimme hallte hohl von den Saalwänden. Widerwillig senkte Garry sein Messer, das er noch bis eben gegen Bens Kehlkopf gepresst hatte. Die Augen des kleineren Jungen blickten leer an ihm vorbei. Er hatte das Skalpell und den Gratinierbrenner fallen lassen, mit denen er Zlatkos Finger traktierte. Garry trat beides zur Seite.
»Na los, mach ein Ende.« Ben sah Garry an. Wären nicht die Schweißperlen auf seiner Stirn gewesen, hätte nichts auf seine Angst hingewiesen. »Mach ein Ende.«
Garry wollte irgendetwas fühlen. Hass, Zorn, Mitleid. Doch da war nur Kälte. Er umfasste sein Messer fester und verstärkte den Griff um den Kehlkopf Bens.
»Verdammt mach mich los!« Zlatko holte Garry in die Echtzeit zurück. Er war noch immer an den umgekippten Stahlstuhle gefesselt, von dem Garry Ben eben weggezogen hatte. »Mach mich los! Beeil dich!«
Mit einer fließenden Bewegung stieß Garry Ben zu Boden. Er verdrehte ihm beide Arme auf den Rücken und sicherte den Jungen mit einem Knie, während er die Kabelbinder durchtrennte, die Zlatkos blutende Hände an den Stuhl fesselten.
Mühsam rappelte sich Malejoy auf. Die Kuppe seines kleinen Finger der linken Hand war versengt, es roch süßlich verbrannt, Er versuchte die FInger zu bewegen und grimmassierte vor Schmerz, aus zwei Schnitten nahe des Daumenballens floß ein kontinuierliches Blutrinnsal.
»Die Tür!«
Poppers kapierte erst nach einer Sekunde.
Garry gestikulierte Zlatko sich um Ben zu kümmern. Der setzte sich kurzerhand auf den Jungen und dessen verdrehte Arme. Kurz darauf hatte Garry den altmodischen Riegel vor vor die Tür geschoben und kehrte y mit dem Inhalt des Verbandskastens zurück, der für Notfälle neben den Spülbecken angebracht war. Zumindest würden sie hier keinen überraschenden Besuch bekommen. Wortlos streckte ihm Zlatko seine Hand entgegen und sagte kein Wort, bis Garry sie mit Schnellldesinfektion besprüht und mit selbstklebendem Druckverband umwickelt hatte. Schließlich stand er auf und deutete auf Ben. Garry nickte wieder nur. Er fixierte die Hände des Vierzehnjährigen mit Pflastertape hinter dessen Rücken und zog ihn auf die Beine.
»Wo sind die anderen?«
»Ich weiß es nicht. Sie haben nichts gesagt.« Zlatko zuckte zusammen. als er versehentlich mit der Hand an das Lehrerpult anstieß, auf dem er hockte. »Vielleicht weiß unser kleiner Folterknecht hier mehr.«
»Ich sag nichts!« spuckte Ben trotz aus.
»Das werden wir sehen.« Garry bückte sich und hob den Gratinierbrenner hoch. Auf Knopfdruck leuchtete die kleine Gasflamme, so heiß das man es noch aus einigen Zentimetern Entfernung spüren konnte. Garry näherte sich Bens Gesicht. »Ich weiß du bist Schmerzen gewohnt… aber wie sieht es-«
Zlatko nahm Garry den Brenner ab und warf ihn zu Boden. »Hör auf damit.«
»Aber er hat dich-«
»Er weiß nichts.« Zlatko stand auf.
»Woher willst du das wissen..?«
»Weil er nichts wußte? Sein Vater vertraute Leander mehr als seinem eigenen Sohn. Er benutzt ihn. Er vertraut ihm nicht.«
»Mein Vater…vertraut mir! Er-« Ben sah Zlatko finster an.
»Dein Vater hält dich für eine dumme Schwuchtel. Du bist ihm egal.« Zlatko war Ben ganz nahe als das sagte.
»Das ist nicht wahr. Mein Vater, er hat mir…«
»Du bist ihm egal. Scheißegal. Das ist doch dein Problem Bennie. Du bist allen egal. Du hast sogar Francis Bruder umgebracht, aber van Gey hat dich trotzdem wie Dreck behandelt.«
»Halt die Fresse! Halt die Fresse halt die Fresse! Mein Vater wird euch-«
Zlatko griff sich das Pflastertape und knebelte Ben. Der Junge heulte vor Wut, doch Malejoy ignorierte ihn.
»Soviel zu deinem Plan, Poppers. Was wenn sie gar nicht hier sind?«
»Ich hätte ihn zum Reden gebracht.»
»Garry, er kann uns nichts sagen. Er ist ein jämmerlicher Wichser, der sein Leben lang davon geträumt hat, daß sein Papa endlich kommt und ihn von van Gey wegholt. Doch das ist nie passiert. Jeder hasste seinen Vater und dabei wollte klein Bennie doch nur auf ihn stolz sein, nicht? Von ihm respektiert werden.« Zlatko ging zum Waschbecken und hielt seinen Kopf drunter. Blut und Dreck rannen in den Ausguß. Zerknüllte Papiertücher landeten auf dem Boden. »Ben hat sich sogar für seinen Vater von van Gey ficken lassen. Nicht wahr Ben? Das war nicht Rape, oder? Nein, das war Leander auf den echten Fotos?«
Bennies Augen leuchteten von Hass und Tränen. Er stürmte auf Zlatko los, doch der wich aus und Ben fiel zu Boden.
»Doch alles umsonst. Papi war nicht stolz oder? Hat er dir gratuliert? Hat er die auch nur einmal gedankt? Was ist Bennie? Hat er?«
Zlatko nahm Garry bei der Hand. Sehr sanft.
»Komm.Wir sollten zusehen das wir abhauen.«
»Wir können ihn doch nicht hier lassen..? Wir sollten ihn mitnehmen, als Geisel. Wenn sich uns wer in den Weg stellt-«
»Nein«, Zlatko zog Garry mit sich.
»Aber er ist unsere einzige Chance hier rauszu-«
»Das sind nicht wir.« Malejoy warf noch einen Blick auf den gefesselten Ben, der mit leerem Blick vor der Spüle lag und leise vor sich hinschluchzte. »Das sind nicht wir. Komm jetzt. Ich glaub ich weiß wie hier hier rauskommen.«
Die Lernküche lag genau über dem Speisesaal und der großen Mensaküche und Garry verstand sofort was Zlatko vorhatte. Der Speiselift mit dem Frischwaren aus den begehbaren Kühlschränken der Mensaküche hier hochtransportiert wurden. Er lag halb verborgen neben der kleinen Gewürzkammer und der Gefriertruhe am Ende der Lernküche. Die beiden Jungen schoben sich zwischen den Arbeitstresen, den Herdkombinationen und Topfregalen hindurch.
»Da passe ich nie rein!«
»Du sollst nicht reinpassen, du sollst dich runterlassen.« Zlatko öffnete die Tür und zog die kleine Transportkabine so hoch, daß sie den Schacht des Aufzugs freigab. Er sicherte die Zugkette mit einem Esslöffel, den er in ein Kettenglied steckte und verbog. »Rein da, los mach!«
»Ich weiß nicht..« Garry dreht sich zu Zlaktko um, der Geschirrtücher aus einem Regal hervorzerrte und um seine Hände wickelt. Zwei weitere warf er Garry zu, der ihn unglücklich ansah. »wir-«
Die Klinke der großen Eingangstür wurde heruntergedrückt und beide Jungen erschraken. Jetzt dröhnte Klopfen und eine Stimme klang dumpf durch das Holz.
»BEN MACH AUF! WAS IST DA LOS VERDAMMT?”«
Erstarrt beobachteten die Jungen wie Ben sich langsam auf die Tür zurobbte.
»Fuck!« Garry stieg in den Fahrstuhlschacht, zwei Geschirrtücher um seine Hände gewickelt, umklammerte er die wackligen Seile, die die Kabine links und rechts hielten. In der nächsten Sekunde war er verschwunden. Zlatko folgte ihm, er griff ebenfalls nach den Seilen und schrie vor Schmerzen auf, als sich das der ölige Draht in seine aufgeschnittenen Handfllächen drückte. Für eine Sekunde verlor er die Kontrolle und sauste ins Untergeschoss, wäre fast auf Garry gelandet, der grade die untere Luke aufgetreten hatte und sich nach draußen schob. Auch Garrys Handflächen waren aufgeschürft, doch er ignorierte das Brennen und zog Zlatko ins Freie und schlug die Aufzugsklappe zu, als könnte sie etwaige Verfolgern auch nur eine Sekunde aufhalten.
Sie standen in der verwaisten Großküche St. Constantines. Der Dunst des letzten Essens hing noch in der Luft, vermischt mit Essigreiniger, Rauch und dem Geruch von Aluminium und Fliesen. Hier war Garry zuletzt in der Silvesternacht gewesen. Er schnappte sich eine Cola aus eine Regal, eine Handvoll Schokoriegel die noch neben dem Ausgabetresen standen und marschierte auf den Hinterausgang zu. Er wußte, der Alarm würde losschrillen, wenn er sie öffnete, doch das war ihm egal. Sobald Morts Leute mit Ben gesprochen hatten wußten sie eh was los war. Für eine Sekunde wünschte Garry er hätte Ben … was erledigt? Umgebracht? Zum Schweigen gebracht. Der kleine Bastard hatte es verdient. Und dann flackerten Bilder des toten Mannes im Haus im Wald vor seinem Auge auf. Bilder des Mannes, den Francis erstochen hatte. Bilder von Francis der immer noch tot neben Pauls Leiche im Lieferwagen, irgendwo am Bahnhof von Kockshead lag. “Das sind nicht wir…”
Zlatko und Garry sahen sich an.
»Bereit?«
Zlatko nickte. Er wickelte das Handtuch fester um seine linke Hand.
Garry offnete die Notverriegelung des Hinterausgangs und beide Jungen sprinteten hinaus. Rannten, verfolgt von schrillem Alarmfiepen, in die neblig-graue Morgenluft, durch den Gemüsegarten, vorbei an der leeren Zufahrt in der normalerweise der Lieferwagen des Internats parkte (doch auch er war für die schnelle Evakuierung-Cockwarts genutzt worden), vorbei an der Rückseite der Sportplätze. Sie sahen sich nicht um. Blickten nicht zurück, als sie durch den verwilderten Park stolperten, der die Tennisplätze von den großen Brunnen trennte. Hier hatte Fagrid Garry die Wahrheit über Mort erzählt, über alles was damals passiert war. Sie rannten. Erst als sie am äußeren Ende des Internatsgeländes anlangten, an der aus natursteinen gesetzten Begrenzungsmauer, die das Gelände vom nahen Waldstück abtrennte, hielten sie inne. Keuchend und mit zitternden Oberschenkeln, schmerzenden Seiten.

»Was für eine idiotische Scheiße! Was für eine Schnappsidee! Wir hätten alle wie Tom-«
»Wo ist Tom? Haben sie ihn auch geschnappt?«
Zlatko stützte sich an Garry ab. Er sah zur Anhöhe hinauf auf der St. Constantines thronte. Blutig glommen die Türme des Gebäudes, von der Sonne erhellt, die sich langsam den Himmel hinaufarbeitete.
»Ich weiß es nicht. Ich war kaum halb auf der Straße zum Jugendzentrum, als plötzlich dieser Scheiß-Mercedes um die Ecke kommt und mich dieser Gorilla packt. Es war eine Schnappsidee. Was wolltest du alleine hier?«
»Ich hätte es schaffen können! Ich kenn mich aus. Wenn sie Moany und Fagrid hier festhalten, dann hätte ich sie-«
»Träum weiter, Poppers.« Zlatko klang erschöpft. Er angelte die Colaflasche aus Garry Hosentasche und versuchte sie zu öffnen. Doch seine verletzte Hand machte es unmöglich. Garry nahm ihm die Flasche ab, schnappte sich einen Stein und schnippte damit den Kronkorken ab. Er nahm einen Zug und gab dann dem anderen Jungen zu trinken. Zlatko wollte die Cola nehmen, doch Garry drückte seine Hand herunter und setzte dem anderen die Flasche wieder an den Mund. Zlatko gab auf und trank in großen Schlucken, bis er etwas in den Hals bekam und Husten mußte. Klebriger Zuckersaft rann ihm am Kinn herunter. Garry mußte lachen. Er warf die Flasche über die Mauer und zog Malejoy an sich. Er küsste ihn. Schmeckte Cola und… etwas salziges, kupfriges, atmere den erschöpften Geruch des anderen ein, der ihn ungelenk mit seinen malträtierten Händen umarmte, ehe er den Kuss erwiederte. Diesmal nicht scheu sondern fordernd und drängend. Garry hielt Malejoy fest und schob seine Hände unter Jacke und Shirt des Jungen, bis er die erhitzte Haut des anderen spürte, die in der Morgenkälte erschauderte.
Das Aufheulen von Motoren weit oben vom Internat, brachte die Wirklichkeit zurück, die sie für eine Sekunde vergessen hatten.
Garry sah Malejoy an. Er mußte kichern.
»Was?« Malejoy schaute irritiert. »Was ist…«
»Ich hab nen Ständer.« Es war so absurd und doch war es die Wahrheit. Hier in der unwahrscheinlichsten Situation seines Lebens stand Garry an einem kalten Märzmorgen, übermüdet und zerschunden, verfolgt und verraten, demjenigen gegenüber, den er noch vor zwei Monaten für seinen größten Widersacher gehalten hatte und verspürte das erste mal seit Wochen wieder etwas gewöhnliches, alltägliches, das er schon fast verdrängt hatte in all dem Trouble der vergangenen Wochen. Er schaute an sich hinunter, sah Zlatko an und lachte.
»Willkommen im Club.« Malejoy mußte gegen seinen Willen auch Lachen. »Und ich dachte du hast nurn Snickers in der Tasche.«
»Nicht nur. Aber… Das hat nichts mit dir zu tun«, kicherte Garry.
»Nein nein, nur ne Morgenlatte«. Die beiden lachte lauter. Sie hielten einander fest und lachten. Dann erklangen die Polizeisirenen und sie sahen, wie sich in der Entfernung ein Wagen mit flackerndem Blaulicht die Auffahrt hinaufschob und das Lachen erstarb.
»Fuck.« Garry wuschelte Zalkto durch die verschwitzen und wirren Haare.
»Später. Laß uns zusehen das wir hier wegkommen.«
»Wie? Vor dem Eingang stehen die Bullen und der See liegt auf der anderen Seite der Zufahrt.«
»Und jetzt?« Malejoy klaute sich einen der Schokoriegel den Garry sich in die Jackentaschen gestopft hatte und atmete ihn ein.
»FagridsHaus.«
»Was?«
»Fagrids Haus, es ist gleich da vorne. Wenn wir es bis dahin schaffen weiß ich wie wir reinkommen, das Haus liegt direkt an der Grenze, der Vordereingang geht zur Straße raus, damit wären wir am Haupteingang vorbei. Wir können Fagrids Wagen nehmen, ich weiß wo er seinen Zweitschlüssel aufbewahrt.«
»Nützt es was, wenn ich sage, daß ich kein Gutes Gefühl dabei habe?«
»Scheiß drauf, du Wichser. Wenn wir hier rauskommen, sorg ich dafür das du gute Gefühle kriegst.«
»Poppers, wo ist deine ganze Zurückhaltung geblieben. Du bist so-«
»Komm!«

***

Kaum zehn Minuten später drückte Garry die Verandatür von Fagrids Haus auf, die er mit dem Messer vorsichtig entriegelt hatte. Es war kalt und die Luft roch abgestanden, als habe seit Wochen niemand mehr gelüftet. Die Jungen schoben sich ins Wohnzimmer und verriegelten die Tür hinter sich. Garry wagte nicht Licht anzumachen. In der Entfernung reflektierten die Blaulichter der Polizeiwagen, die weiterhin das Gelände abfuhren.
»Der Schlüssel muß unter diesem Völkerball-Pokal sein, der dort am Kamin steht. Verdammt es ist zu dunkel.«
Es klickte, als ein Feuerzeug eine karge Flamme erschuf und sie an der Finsternis lecken ließ.
»Ich… « sagte eine Stimme, die aus dem Schatten drang, der sich nur schwach als Silhouette im Lesestuhl der Kaminecke erkennen ließ, »Ich bin überrascht. Guten Abend, Garry. Oder besser. Guten Morgen.«
Instinktiv umklammerte Garry Zlatkos Hand und drückte sie so fest, daß der Junge aufheulte.
»Scheiße.«


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